Weh dem, der aus der Reihe tanzt by Harig Ludwig

Weh dem, der aus der Reihe tanzt by Harig Ludwig

Autor:Harig, Ludwig [Harig, Ludwig]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


VIII

Ein Pawlowscher Hund

Von Pfingstdienstag 1941 an stand ich frühmorgens Tag für Tag mit anderen Vierzehnjährigen auf dem Schloßhof in Idstein und erwartete Kommandos. Wir waren in Linie zu drei Gliedern angetreten, ich, als kleinster von allen links außen im letzten Glied, hatte die Trommel vorgebunden und schlug einen Wirbel, den ich lauter und heftiger anschwellen ließ, je höher die Fahne am Mast emporstieg. Zum Frühstück rückten wir in den Rittersaal ein, standen an den Tischen, jeder an seinem Platz, reichten uns die Hände, wünschten guten Appetit, setzten uns, aßen und tranken, jeder zwei Schnitten Brot mit Marmelade, jeder zwei Tassen Malzkaffee mit Milch. Wenn die Trillerpfeife ertönte, schnellten wir von den Stühlen hoch, reihten uns ein und stiegen die Treppen zu den Klassenräumen hinauf. Als Jungmannen der Lehrerbildungsanstalt kosteten wir den Ablauf des Vormittags mit trockenen Lippen aus, wie es das Studium der Wissenschaften erfordert, doch wenn zu Mittag die Trillerpfeife erneut durch die Flure scholl, lief uns das Wasser im Mund zusammen.

Es gab Sagobrühe mit Grießmehlklümpchen, Senfsoße mit Muschelfleisch, Pellkartoffeln mit Murmeltierragout, einmal brachte der Tischdienst gelbe Rüben mit panierten Schollen, ein andermal Kornbrotschnitten mit Lachspastete aus der Küche. Manchmal fragten wir uns, woher diese exotischen Speisen kommen könnten, wir tippten auf Raubzüge in Rußlands Kornkammern, auf gekaperte englische Fischdampfer, auf erbeuteten Nachschub aus afrikanischen Ländern. Die Speisen schmeckten, als seien sie in Petroleum gekocht, doch wir aßen mit Heißhunger, und wenn die Suppe zur Neige ging, sagten wir: »Ich nehme mir noch von den Froschaugen«, um den Empfindlichen den Appetit zu verderben. Nach einem Bombenangriff auf Frankfurt, wo wir ganze Tage zum Aufräumen der Trümmer zubrachten, gab es Rauchfleisch in Brotsuppe, beim Besuch des Gauleiters, der uns mit einschläfernder Rede einen schulfreien Tag bescherte, Bratkartoffeln mit Eierschmer. In Idstein hatte ich Hunger, solange ich dort im Internat war. Nun kam mir aber das Wolfen zugute, das Mutter mir hatte abgewöhnen wollen, und ich heckte eine Methode aus, nach der ich dieses Wolfen am zweckmäßigsten anwenden konnte. Denn nicht der vollgepackte Teller garantiert ein ausgiebiges Mahl, es kommt darauf an, zuerst wenig auf den Teller zu nehmen, rasch zu essen, und bevor die anderen das ihre verzehrt haben, zum zweitenmal, und nun kräftig, nachzuschöpfen. Am schlimmsten erging es Adolf Fries, er war ungeschickt, konnte nicht schnell und effektiv genug Kartoffeln pellen, und da ihm auch die Hitze der Kartoffeln zusetzte, brachte er nicht genug davon auf seinen Teller, um satt zu werden. Er litt unter Sodbrennen und fror immer, weil er mehr hungern mußte als wir. So war er auf die durchgeweichte Nachmittagsstulle angewiesen, für die er schon eine halbe Stunde zu früh anstand und sogar auf den Stadtgang verzichtete, der uns vor der Arbeitsstunde eine kleine Verschnaufpause gewährte. Adolf quälte sich durch den Tag, vor Mittag- und Abendessen bangte er um Form und Inhalt der Speisenfolge, er fragte in der Küche nach, was es zu essen gebe, denn manches flößte ihm Widerwillen ein. Dann würgte es ihm im Schlund, das Sodbrennen schwoll zum Säurebrand an, und er preßte sich die Hände auf die Brust, während wir dasaßen und futterten.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.