War meine Zeit meine Zeit (German Edition) by Loetscher Hugo
Autor:Loetscher, Hugo [Loetscher, Hugo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257601091
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
veröffentlicht: 2013-05-27T22:00:00+00:00
EINE ZUGEHÃRIGKEIT WURDE ATTESTIERT, schon mit dem ersten Schrei, bestätigt mit einer Geburtsurkunde: als Stempel ein Schweizerkreuz, als Siegel drei Märtyrer, die enthaupteten Stadtheiligen â ob gefragt oder nicht, ich war vom ersten Atemzug an ein Staatsbürger, wenn auch noch einer in Windeln.
Wann ich zum ersten Mal als Schweizer angesprochen wurde, weià ich nicht. Aber ich glaube mich zu erinnern, unter welchen Umständen: ausgestattet mit einem Papierfähnchen und einem Lampion, den ich wegen der brennenden Kerze nicht schwenken sollte, sonst wäre das weiÃe Kreuz im roten Feld in Flammen aufgegangen. Der Auftritt fand sicher an einem Ersten August statt, am Nationalfeiertag, im Kindergarten.
Aus dem, der zum ersten Mal im Kindergarten einer vaterländischen Ermahnung zuhörte, wurde Jahrzehnte später einer, der selbst eine Erster-August-Rede entwarf:
»Ich weià nicht, wer sich mehr wundert: das Vaterland, dass es zu einer Person wie mir kam, oder ich, dass ich zu einem Vaterland wie der Schweiz kam â wir sind beide Opfer der Umstände. Es ist mir klar, dass dies ein ungleiches Verhältnis ist. Das Vaterland kann mit gröÃerer Unbekümmertheit auf mich verzichten, zumal Vaterländer dazu ausersehen sind, Söhne zu opfern. Noch nie hat man von einem Vaterland gehört, dass es den Heldentod für einen seiner Söhne starb. Ich aber, ich kann nicht auf das Vaterland verzichten. Denn ohne Vaterland gäbe es mich nicht. Es hat mir Papiere ausgestellt: einen Geburtsschein, eine Bestätigung dafür, dass dieser bei der Einwohnerkontrolle deponiert wurde, eine Bescheinigung für die Niederlassung und vor allem einen Pass. Nun hat man als Schriftsteller eine professionelle Vorliebe für Bilder und Symbole; man weià aber auch, dass Symbole alt werden. Und ich frage mich, ob unsere Merkantil-Demokratie nicht neue Fahnen braucht. Ich könnte mir denken, dass sich an unseren Masten Banknoten vorzüglich ausnähmen, ich bin überzeugt, die Noten lieÃen sich so imprägnieren, dass sie wie echte Fahnen im Wind knistern. Aber man ist ja nicht nur Schriftsteller, sondern auch Intellektueller. Nun hat es mir nie eingeleuchtet, weshalb Denken der Heimat schadet, aber das muss wohl damit zusammenhängen, dass es sehr schwierig ist, mit der Majorität von einundfünfzig Prozent zu denken. Aber warum zum Teufel und zur Helvetia, warum hat das Vaterland ein solches Schulsystem ausgebaut, wenn es einem übel- nimmt, dass man lernt. Da wird vorgeführt, was Demokratie sein könnte, und wenn man sich daran hält, verargen sie es einem. Ja â man wird sich arrangieren müssen mit diesem Vaterland. Und zwar so, dass wir seine Probleme so rasch wie möglich lösen, damit Zeit bleibt für die Probleme, welche über dieses Vaterland hinausgehen. Das würde ich an diesem Vaterland loben, dass man es mit gutem Gewissen in den Hintergrund treten lassen darf.«
Auf solche Ãberlegungen war bald danach zurückzukommen: »Switzerland â but«, die »Schweiz â ja, aber«. So lautete das Konzept, um das Land 1970 an der Weltausstellung in Osaka zu präsentieren. Entworfen worden war von einem befreundeten Graphiker- und Architektenteam eine »strahlende Struktur«, eine Assoziation an den Mythos einer integer- perfekt-leuchtenden Schweiz. Als Kontrastprogramm ein Fragenkatalog, der mir überantwortet worden war: die Errungenschaften des Landes festhalten und auflisten, was wir uns als Probleme eingehandelt haben.
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