Walled City by Ryan Graudin

Walled City by Ryan Graudin

Autor:Ryan Graudin [Graudin, Ryan]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644534612
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-10-29T16:00:00+00:00


8 Tage

Mei Yee

Ich warte auf den Botschafter. Sings Schreie gellen immer noch in meinem Kopf, und ich habe schon das Ja auf der Zunge, das meinen Körper mit Funken und Feuer erfüllt, wie das Feuerwerk, das unsere Nachbarn einst Silvester kauften. Ich hatte bis dahin noch nie Feuer in dieser Farbe gesehen, es war ein so grelles Kirschrot, dass es ein Loch in meine Netzhaut brannte. Es war so wunderschön, so ganz anders als meine Welt, dass ich schon fand, dass es reichte. Aber dann war die Zündschnur abgebrannt, und das Feuerwerk schoss hoch in den klaren Winterhimmel, zog einen dicken weißen Rauchschwanz hinter sich her. Die nächtliche Schwärze füllte sich mit mehr Farben, als ich Namen dafür kannte: saphirblaue, scharlachrote und grüne Linien.

Der Anblick war so wunderschön, dass ich weinen musste.

Und ich habe das Gefühl, wieder weinen zu müssen, jetzt, da die Tür aufgleitet. Es ist so viel in mir – Angst, Verlust, Gewinn, unausgesprochene Wünsche, mein Ja –, und alles schwirrt und schlägt Funken und blitzt wie das Feuerwerk. Es ist unmöglich, all das in mir festzuhalten.

Aber etwas an der Art, wie der Botschafter das Zimmer betritt, lässt mich schweigen. Er wirkt heute sogar noch größer, wie er da in seinem weiten Mantel vor mir aufragt. Der Stoff ist so schwarz wie der Pelz eines Bären. In seinen Armen liegt etwas, was ich nicht recht erkennen kann. Was auch immer es ist, Blumen sind es nicht.

Er sagt nicht Hallo, er nickt mir nicht einmal förmlich zu. Er geht einfach hinüber zur Anrichte und nimmt meine Vase.

«Es gab keine anständigen Blumensträuße», sagt er über die Schulter zu mir. «Und ich wollte dir etwas Besonderes mitbringen. Um dir zu beweisen, wie leid mir tut, was geschehen ist …»

Was geschehen ist. Ich wünschte, er würde es aussprechen, sich entschuldigen für meine blauen Flecken, statt mir einfach noch ein üppiges Geschenk zu machen. Ich wünschte, er würde sich an unsere Regeln halten und mir Blumen bringen.

Der Botschafter tritt zur Seite, und ich sehe, dass er meine verwelkten Nelken durch eine flache Schale ersetzt hat. Aus seinem sandigen Boden erhebt sich ein Baum. Es ist kein Setzling, sondern ein ausgewachsenes Ding mit Zweigen, Rinde, Laub und Wurzeln. Ein Baum, der mich überragen sollte, der aber nicht länger ist als mein Arm.

«W-was ist das?» Ich starre es an, mein Ja habe ich für den Augenblick vergessen, und ich versuche, mir vorzustellen, wie man einen Baum einsperren und schrumpfen kann. Das muss Zauberei sein, es ist unmöglich.

«Eine Zypresse.» Er beugt sich vor, um die Blätter zu inspizieren, und streicht mit viel zu sorgfältig manikürten Fingern darüber.

«Wie – warum ist sie so klein?» Ich komme mir dumm vor, weil ich das frage. Ich habe noch nie eine Zypresse gesehen. In meiner Provinz gab es kaum noch Bäume, als ich auf die Welt kam. Sie wurden gerodet, um Platz zu machen für die Reisfelder. Vielleicht sind Zypressen immer so groß, und ich wusste es nur nicht.

«Das ist eine Technik, die man Bonsai nennt. Gärtner wenden sie an, um die Bäume daran zu hindern, zu groß und zu widerspenstig zu werden.



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