Vor dem Regen kommt der Tod - Thriller by Lieneke Dijkzeul

Vor dem Regen kommt der Tod - Thriller by Lieneke Dijkzeul

Autor:Lieneke Dijkzeul [Dijkzeul, Lieneke]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 2014-04-27T22:00:00+00:00


16

Sie musste trotz allem geschlafen haben, denn als sie die Augen aufschlug, war der Platz neben ihr leer, und die Sonne schien durch die Gardinen.

Sie lauschte, aber im Haus war es still. So still, dass sie wusste, dass er nicht da war. Der Wecker zeigte kurz nach halb neun. Sie setzte sich auf und sah zu dem Stuhl hinüber, auf dem seine Kleider lagen: Jeans und ein dunkelblaues T-Shirt.

Sie verließ das Bett, befühlte T-Shirt und Hose. Beide waren klamm. Wo war das schwarze T-Shirt? Oder war sie farbenblind? Sie schob die Schranktür auf. Keine schwarzen T-Shirts, nur ein dunkelblaues. Hatte er extra ein Oberteil zum Wechseln mitgenommen und das schwarze bei seiner Freundin gelassen? Aber warum?

Sie schlüpfte in ihren Hausanzug und lief die Treppe hinunter. Die Küche sah aus wie am Vorabend. Die Scherben lagen noch auf dem Tresen, von einem Frühstück keine Spur. Instinktiv zog sie die Besteckschublade auf. Das Wurstmesser lag an seinem Platz.

Sie war verrückt. Sie sah Gespenster. Aber wo war er?

Im Wohnzimmer lag ein Zettel auf dem Tisch. Sie erkannte seine unregelmäßige Handschrift.

Ich liebe dich. Brauche nur eine kurze Auszeit.

Sie lachte laut auf. Eine Auszeit. Aber für wie lange? Für einen Tag, für eine Woche, für einen Monat? Und konnte man von einer Ehe überhaupt eine Auszeit nehmen?

Sie zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Müll, wo die hässlichen Chrysanthemen bereits vor sich hin welkten.

Kaffee.

Während sie auf das Blubbern des Espressos wartete, überlegte sie, wo er wohl steckte. Bei seiner Freundin? Dann blieb er bestimmt den ganzen Tag weg. Vielleicht sollte sie sich auch etwas Gutes tun, jetzt wo sie »Eheferien« hatte. Aber zuerst musste sie Bibi anrufen.

Nach dem Kaffee und ein paar Crackern mit Käse lief sie ziellos durchs Haus. Erstaunlicherweise ging es ihr einigermaßen gut: keine Bauchschmerzen, nur die übliche dumpfe Mattigkeit. So gesehen, konnte sie den Tag für sich nutzen. Aber wie? Auf keinen Fall ans Meer und auch nicht ins Museum. Liesbeth? Nein, Liesbeth kannte sie zu gut. Sie würde sofort etwas merken, und sie durfte sie nicht damit belasten. Sie brauchte mehr Klarheit. Sie würde eine Entscheidung fällen müssen, wenn es denn etwas zu entscheiden gab. In Gedanken hatte sie John bereits verurteilt, obwohl sie nicht einmal genau wusste, wofür. Er hatte Geldprobleme, aber vielleicht war das gar nicht seine Schuld. Und das Getue mit den Kleidern … Wer weiß, vielleicht gab es auch dafür eine logische Erklärung. Aber warum wagte sie es dann nicht, ihn darauf anzusprechen? Weil sie zu wenig wusste oder zu viel?

Plötzlich saß sie im Auto, das wie von selbst den Weg zu finden schien. Dann parkte sie am selben Ort wie am Abend zuvor. Sie sah sich um. Außer Möwen, die sich um eine zerrissene Plastiktüte stritten, rührte sich nichts. Im nüchternen Tageslicht wirkte der Parkplatz längst nicht so deprimierend wie nachts.

Sie schloss das Auto ab. Dort, wo Johns Wagen gestanden hatte, parkte jetzt ein kleiner weißer Japaner. Langsam lief sie weiter. Es war wieder heiß, das Grün der Sträucher, die die Anlage umgaben, war staubig und blass.



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