Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veraenderten by Christian Maehr
Autor:Christian Maehr
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-8321-8518-3
Herausgeber: DuMont Buchverlag
Ja, verehrte Leserin, lieber Leser, die größte Entdeckung der Medizingeschichte ist erfolgt, weil Fleming eine Bakterienkultur verschusselt hat. Und hätte er das nicht getan, würden heute nicht alle von uns putzmunter durchs Leben spazieren. Weil den einen oder die andere irgendeine der allseits beliebten Infektionskrankheiten hinweggerafft hätte. Oder eine Infektion ohne Krankheit. Bezeichnenderweise war der erste Patient, der mit Penicillin behandelt wurde, ein Londoner Polizist, der sich beim Rasieren geschnitten und eine Blutvergiftung zugezogen hatte. Nach fünf Tagen war das Fieber weg. Und das Penicillin aufgebraucht. Der Mann starb einen Monat später. Das war 1941, dreizehn Jahre nach Flemings Entdeckung, die zunächst kein Interesse geweckt hatte. Erst der Zweite Weltkrieg änderte alles: Die in Deutschland entwickelten Sulfonamide standen nicht mehr ohne Weiteres zur Verfügung, zur Wundversorgung brauchte man aber ein wirksames Mittel. 1938 untersuchten der australische Pathologe Howard Florey und der aus Deutschland emigrierte Chemiker Ernst Chain systematisch alle Substanzen, die sich irgendwann gegen Bakterien als wirksam erwiesen hatten. Dabei stießen sie auch auf Lysozym, eine Entdeckung Flemings aus dem Jahr 1921 – er hatte diesen Wirkstoff im Nasenschleim und im Speichel gefunden und festgestellt, dass Lysozym massiv gegen Bakterien wirksam war. Allerdings nur gegen harmlose, gegen pathogene Keime versagte es völlig.
Penicillin war da schon ein anderes Kaliber: Es wirkte gegen pathogene Keime, ließ die weißen Blutkörperchen, die Hauptabwehr des Körpers gegen Infektionen, aber in Ruhe, was Fleming schon in seiner Veröffentlichung beschrieben hatte. Es war ja nicht so, dass man in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts nichts gegen Bakterien gehabt hätte: Phenol, damals noch »Karbolsäure« genannt, war ein wirksames bakterizides Mittel; jedes Krankenhaus stank geradezu danach, weil es reichlich zur Desinfektion verwendet wurde. Leider verbot sich seine Anwendung im Körper des Patienten: Phenol ist sehr giftig.
Fleming hatte die bakterientötende Substanz, die er Penicillin nannte, nicht isoliert, das heißt, aus der Pilzkultur nicht als reinen Stoff gewonnen. Das war der erste Schritt einer intensiven Forschungstätigkeit, an der sich neben Engländern auch ganze Heerscharen amerikanischer Chemiker und Biologen beteiligten. Schon die Isolierung der Substanz war eine aufreibende und komplizierte Angelegenheit, erst recht ihre Strukturaufklärung. Die war nötig, weil man natürlich hoffte, einen Syntheseweg zu finden, der einfacher zu beschreiten war, als Nährlösung in keimfrei gemachten großvolumigen Edelstahlbehältern mit Penicillium chrysogenum »verschimmeln« zu lassen und nachher das Produkt mühselig aus der Pilzbrühe zu extrahieren. Aus dem Traum wurde nichts. Penicillin wird nach wie vor biotechnologisch hergestellt. Das ist viel billiger. Es gibt heute allerdings zahlreiche halbsynthetische Formen, in denen an das Naturpenicillin andere Seitenketten angefügt sind. Dazu lässt man den Pilz das »Urpenicillin« (Penicillin G) erzeugen, spaltet mit speziellen Enzymen den linken oberen Rest in der Eingangsformel ab und hängt dann wieder andere Seitenketten an. Der Grund für diese umständliche Vorgehensweise liegt in der Struktur des Moleküls. Sieht man genauer hin, bemerkt man nämlich, dass drei Kohlenstoffatome in den Ringen eine Besonderheit zeigen: Die beiden oberen Ecken des Quadrats und die unterste Spitze des Fünfecks. An jedem der drei hängen je vier verschiedene »Reste« – der Unterschied wird deutlich, wenn man das
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