Vom Glück, eine Leberwurst zu lieben. und andere kulinarische Glossen by Keto von Waberer

Vom Glück, eine Leberwurst zu lieben. und andere kulinarische Glossen by Keto von Waberer

Autor:Keto von Waberer [Waberer, Keto von]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462410563
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG


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9.

Katastrophen, die bei Tische drohen

Was es für Folgen hatte, als Esau seiner Lust auf ein Linsengericht nachgab, haben wir alle schon in unserer Kindheit erfahren. Auch König Midas, der dank seines verhängnisvollen Wunsches, alles, was er berührte, möge sich in Gold verwandeln, schließlich mit Verdauungsproblemen konfrontiert wurde, die ihn das Leben kosteten, ist sattsam bekannt. Carlos, der unglückliche Infant, den wir nur sehr idealisiert aus Schillers Drama kenne, soll sich laut letzten Theaternachrichten an einer Hasenpastete zu Tode gefressen haben, jedenfalls in Tankred Dorsts Bühnenversion. Die Verbindung von Gier und Untergang tritt in allen Fällen klar zutage. Aber weiter, wer mag sich vorstellen, wie viele Schlemmer etwa in der Zeit der Borgias den Löffel wegwarfen, weil ihre Perlhuhnbrühe mit Pulvern gewürzt war, die ihnen nicht bekamen, wie viele harmlose Trinker von König von Thule bis Luise Millerin, haben den Trunk nicht überlebt.

In der kulinarischen Geschichte des Abendlandes wohnen Lust und Drama dicht nebeneinander. Daran hat sich auch heute nichts geändert, denn wo der Mensch sich der Erfüllung seiner Wollust hingibt, ganz gleich in welcher Form, lauert doch immer ein versteckter strafender Engel.

Meine Mutter war, ohne daß sie dies jemals zugegeben hätte, eine wahre Kassandra, was die Gefahren des Speisezimmers betrifft, und hat mich schon früh mit den tödlichen Unvorsichtigkeiten und Übertreibungen bei Gaumenfreuden vertraut gemacht. Nimmt es wunder, daß ich heute erregt zusehe, wie jemand achtlos in seinem Fisch stochert und dabei spricht und lacht, während der Tod in jeder Gräte lauert?

Mein Onkel Lukas etwa, ein Vielfraß und Angeber, hat meiner Familie den Karfreitagskarpfen für immer verdorben. Beim dritten Bissen machte er so ein seltsames Gesicht, so berichtet man, lief dann blau an, hustete, spuckte, rang nach Atem, und obgleich man Brotbrocken in seinen Rachen schob und ihn vielstimmig anleitete, sie zu schlucken, erstickte er vor den Augen seiner entsetzten Sippe. Das alles ist mir praktisch bei jedem Fischgericht erzählt worden, und ich bitte die relative Kälte, mit der ich den Hergang hier schildere, zu verzeihen. Es ist ein Wunder, daß ich überhaupt noch Fisch esse. Ich habe nicht vor, hier die Geschichte meiner Kinderschwester Mara, die an einer heißen Kartoffel erstickte, näher dazutun, noch das Ende der Schwägerin von Tante Minne, die sich, laut meiner Mutter, mit ihrer Leidenschaft für fette Schlachtplatten zu Tode brachte, ganz zu schweigen von Großonkel Oskar, der mit vollem Magen in die Nordsee sprang und unterging wie ein Stein.

Unauffällig lernte ich so auf den mütterlichen Knien den dramatischen Zusammenhang von oralem Genuß und Entsetzen kennen. Dem Zwerg Nase wächst sein langer Riecher nach dem Genuß einer herrlich gewürzten Kräutersuppe. Dem traurigen stummen König wird jeden Abend eine weise Schlange serviert. Äpfel mit roten Backen sind zu meiden. Max und Moritz büßen ihren Hühnerraub mit dem Leben - und werden wiederum von Hühnern gefressen. Schlimmer noch: »Mein Vater, der mich schlacht, meine Mutter, die mich aß …« heißt es im Märchen vom Machandelbaum.

Ein Mensch jedoch, der im Schatten solcher kulinarischer Dramen aufgewachsen ist, kann nie mehr ein wirklich unschuldiges Verhältnis zur Nahrungsaufnahme gewinnen. Vielleicht esse ich deshalb so gerne.



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