Verwirrnis (German Edition) by Christoph Hein
Autor:Christoph Hein [Hein, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Heimliche Liebe, Strenger Vater, Hamburg, Wende, Kantor, Homosexualität, DDR, Heimlich verliebt, Freundschaft, Homosexualität unter Strafe, Scheinehe
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2018-08-12T22:00:00+00:00
An einem Abend im Mai klingelte Jacqueline völlig aufgelöst bei Friedeward, der gerade Besuch von Wolfgang hatte. Sie hatte von Herlinde einen beunruhigenden, rätselhaften Brief erhalten, in dem diese sie bat, in der nächsten Zeit keinesfalls bei ihr vorbeizukommen und sie weder auf der Straße, falls sie sich begegnen sollten, noch im Institut anzusprechen. Sie befinde sich in einer mehr als misslichen Lage und müsse erst ein paar Dinge klären, bevor sie sich wieder mit Jacqueline treffen könne.
Jacqueline weinte, als sie den Freunden davon erzählte, und bat darum, dass einer von ihnen zu Herlinde gehe, um zu hören, was vorgefallen sei. Wolfgang versprach ihr, gleich am nächsten Tag Herlinde zu besuchen, doch Jacqueline drängte darauf, dass er sich gleich aufs Fahrrad setzen möge, auch wenn es bereits neun Uhr abends war. Sie begleitete ihn ein Stück, er schob das Fahrrad, dann bog sie in Richtung ihrer Wohnung ab, nicht ohne ihn zu bitten, nach seinem Besuch bei Herlinde gleich bei ihr vorbeizukommen.
Herlinde war allein, als er bei ihr klingelte. Sie bat ihn in ihre Wohnung und erzählte dann ganz erregt, dass eine Kollegin, gleichfalls Professorin, aber auch Mitglied der Staatspartei und Parteisekretärin der Fakultät, sie zu einem Vieraugengespräch gebeten habe. Sie hatte sie unumwunden beschuldigt, mit Jacqueline ein Verhältnis zu haben, und sprach von irgendwelchen Beweisen, die sie angeblich habe und die sie der Fakultätsleitung vorzulegen gedenke, sofern Herlinde dieses Verhältnis nicht unverzüglich beende. Sie habe der Kollegin gegenüber alles bestritten und von einer ungeheuren Diffamierung gesprochen, aber sie wisse nicht, wie sie sich nun verhalten solle. Sie ahne auch nicht, was für Beweise das sein könnten, die die Kollegin habe, schließlich hätten Jacqueline und sie in der Öffentlichkeit stets darauf geachtet, nie auch nur den leisesten Verdacht zu erregen. Vielleicht waren der Kollegin auch einfach nur Gerüchte zu Ohren gekommen und sie hatte ihr auf den Zahn fühlen wollen. Es war aber ebenso denkbar, dass sie schon seit einer Weile überwacht wurde, weshalb sie Jacqueline gebeten habe, sie nicht zu kontaktieren. Im Augenblick sehe sie sich gezwungen, entweder umgehend die Hochschule zu wechseln, was jedoch äußerst kompliziert sei und den Verdacht der Kollegin noch erhärten würde, oder sich tatsächlich von Jacqueline fernzuhalten.
Wolfgang versprach ihr, Jacqueline gleich alles zu erzählen, und verließ bedrückt die in Tränen aufgelöste Herlinde. Er radelte zu Jacquelines Wohnung, setzte sie ins Bild und brach dann rasch wieder zu Friedeward auf. Die beiden saßen bis weit nach Mitternacht zusammen, besprachen alles noch einmal in Ruhe, und gingen schließlich erschöpft zu Bett.
Am nächsten Morgen klingelte es um kurz vor sieben an der Wohnungstür. Als Friedeward öffnete, stand Jacqueline vor ihm, blass und unausgeschlafen, aber strahlend.
»Ich weiß jetzt, was wir machen«, sagte sie. »Darf ich reinkommen?«
»Ja, aber sei leise, du weckst noch meine Vermieterin auf. Ich bin schon froh, dass sie einfach darüber hinwegsieht, dass Wolfgang dauernd hier übernachtet, aber dann muss ich umso rücksichtsvoller sein.«
Sie lief vor ihm her durch den Flur in sein Zimmer, begrüßte Wolfgang, der noch im Bett lag, und verkündete: »Wir verloben uns, Friedeward, und zwar so schnell wie möglich.
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