Vergeltung - 4. Das Medaillon by Peters Katharina

Autor:Peters, Katharina [Peters, Katharina]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-01-29T05:00:00+00:00

5

Jannick kannte sich mit den Steglitzer Straßenkids nicht besonders gut aus. Jeder Kiez hatte seine eigenen Besonderheiten, seine Banden und Rituale, und er brauchte ein paar Tage, bis ihm Treffpunkte und Gesichter vertraut wurden. Die örtlichen Kollegen hatten ihn zwar gebrieft, was die aktuelle Hierarchie sowie angesagte Pillen und Getränke betraf, welche Gruppen an welchen Plätzen im Moment das Sagen hatten, wo gerade Krieg herrschte, welcher Platzhirsch um seinen Rang fürchten musste und wo Dealer gepanschtes Zeug vertickten, aber an das ungewohnte Terrain musste er sich erst gewöhnen.

Er machte sich keine großen Hoffnungen, dass ihm ein schneller Einstieg in die Szene gelingen und quasi zeitgleich interessante Hinweise zufliegen würden. Das nicht. Aber manchmal genügte es, zur richtigen Zeit an der richtigen Currywurstbude herumzustehen und die Ohren aufzusperren. Die Zeitungen hatten inzwischen Wind bekommen und berichteten in nebulösen Andeutungen vom CARNIFEX-Mörder, nachdem es dem LKA zunächst für einige Tage gelungen war, Einzelheiten zum Bekennerschreiben sowie Erkenntnisse zu den möglichen Tathintergründen zurückzuhalten. Aber nun war die Bezeichnung durchgesickert, gefolgt vom Ermittlungsansatz der Kindermisshandlung. Die Berichte blieben zwar insgesamt verschwommen, aber als Gesprächseinstieg taugte die reißerische Schlagzeile allemal, auch wenn sie inhaltlich schief war. Die Namen von Bleichert und Muhlt waren bisher in diesem Zusammenhang nicht gefallen, aber es dürfte sich nur noch um eine Frage der Zeit handeln, bis sie die große Runde machten – nachdem einer der zig Befragten seine Schlussfolgerungen ausgeplaudert oder ein Zeuge, die Bitte um Stillschweigen missachtend, Kontakt zu den Medien aufgenommen hatte. Die Familien würden dann nichts mehr zu lachen haben, aber das hatten sie wahrscheinlich ohnehin schon länger nicht mehr.

Auf dem Marktplatz am Rathaus hatte sich bereits um die Mittagszeit eine Gruppe Jugendlicher versammelt, die eine Flasche kreisen ließ. Jannick verdrückte eine Currywurst mit extrascharfer Sauce und doppelter Portion Pommes und nahm Blickkontakt zum Wortführer auf – einem höchstens mittelgroßen, aber bulligen Typen, knapp zwanzig, schlechte Zähne, schöne Augen, kräftiges Kinn. Der warf den Blick zurück und schnalzte mit der Zunge. »Was gibt’s, Alter?«

Jannick wischte sich den Mund ab. »Wollte ich dich auch gerade fragen.«

»Häh?« Der Gruppen-Häuptling sah sich kurz in der Runde um und streckte die Brust raus. Es war klar, dass er vor seinen Leuten angemessen reagieren musste. »Was hast du denn zu melden?«

Jannick warf seine Wurstpappe in einen Mülleimer und trat näher. »Habt ihr von diesem Typen gehört, der sich Carnifex nennt?«

»Klar«, antwortete ein anderer. »Coole Nummer.«

»Sicher?«

»Und ob.«

»Was willst du?«, übernahm der Häuptling wieder das Kommando.

»Das zweite Opfer wurde wahrscheinlich irgendwo hier in der Nähe entführt. Vor fast einer Woche, genauer am Samstagabend. Wisst ihr was darüber?«

Häuptling sah ihn kühl an. »Wer will das eigentlich wissen?«

»Ich.«

»Und?«

»Ich bin Polizist.«

»Ach du scheiße.«

»Wie man es nimmt.«

»Alter, glaubst du wirklich, wir würden dir was sagen?« Häuptling lachte hämisch auf.

»Warum nicht?«

»Du bist ein Bulle – das ist das eine.«

»Und das andere?«

»Denk mal nach, auch wenn es schwerfällt: Die haben es doch nicht besser verdient.« Er grinste. »Wenn man meinen Alten früh genug einkassiert hätte …«

»Verstehe – aus dir wäre glatt noch was geworden, wenn du als Kind nicht so häufig Prügel bezogen hättest.

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