Verdi hoeren und sterben by Böckler Michael

Verdi hoeren und sterben by Böckler Michael

Autor:Böckler, Michael [Böckler, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-01T16:00:00+00:00


41

Als Laura die Villa am Gardasee betrat, erschrak sie, hörte sie doch eine Arie von Ottilia Balkows Lieblingsplatte, der Platte, die sich die alte Dame auch in jener verhängnisvollen Nacht angehört hatte. Plötzlich war es ihr, als ob Ottilia noch am Leben wäre. Sie glaubte den Duft ihres schweren, süßlichen Parfums zu riechen. Und wäre sie jetzt die Treppe heruntergekommen, in einem langen weißen Seidenkleid, die grauen Haare hochgesteckt und mit einer Hand den Takt der Musik begleitend, Laura wäre nicht überrascht gewesen. Aber Ottilia kam nicht, konnte nicht kommen, sie lag auf dem Friedhof der Chiesa della Beata Vergine.

Laura stellte ihren Einkaufskorb ab und trat in den Salon, wo sie Mark am Boden sitzend vorfand, vor ihm ein offener Schuhkarton, daneben ein verstaubter Deckel. Um ihn herum waren Briefe auf dem Perserteppich verstreut.

»Ciao Laura, come stai?« Marks Gruß wirkte geistesabwesend.

Laura ging zum Plattenspieler und stellte die Lautstärke runter. Erst dann kniete sie sich zu Mark auf den Boden und gab ihm einen Kuss.

Laura nahm einen Umschlag in die Hand. »Was treibst du denn hier? Hast du auf dem Speicher alte Liebesbriefe von Ottilia entdeckt?«

»Keine Liebesbriefe, nein, aber sehr aufschlussreiche, traurig stimmende Briefe. Sie sind erschreckend, geradezu bestürzend.«

»Von wem sind diese Briefe?«

»Sie stammen alle von meiner Mutter Patrizia und sind an Ottilia gerichtet. Meine Mutter hat darin in den letzten beiden Jahren vor ihrem Selbstmord Grandma Ottilia ihr Herz ausgeschüttet, von ihren Sorgen erzählt, von ihren psychischen Krisen. Aber nicht nur davon.« Mark hielt inne und schluckte.

»Erzähl schon!«

»Gleich, vorher noch eine Frage. Hast du etwas von Guido gehört?«

»Ja, habe ich, er hat mich unterwegs auf meinem Handy angerufen. Leider ohne Ergebnis. Fehlanzeige, in Abano Terme war in keinem Hotel ein Rudolf Krobat registriert. Aber Guido meint, das habe nichts zu besagen. Falls jemand vorhabe, einen Mord zu begehen, lasse er sich am Ort seiner Tat kaum mit dem richtigen Namen registrieren.«

»Hätte schon sein können, schließlich würde niemand die beiden miteinander in Verbindung bringen. Aber wahrscheinlich hat Guido Recht, Rudolf ist zu raffiniert und hinterhältig.«

»Ist zu raffiniert und hinterhältig? Kein ›vielleicht‹ oder ›möglicherweise‹. Das klingt ganz so, als ob du deine Zweifel überwunden hättest.«

»Stimmt«, antwortete Mark, »ich habe keinen einzigen Beweis, und dennoch bin ich mittlerweile von Rudolfs Schuld überzeugt.«

»Bravo, ich gratuliere! Hat diesen Sinneswandel dein Anruf in Rudolfs Firma bewirkt?«

»Nein, hat er nicht, aber immerhin hat mein Anruf auch nicht zu seiner Entlastung beigetragen. Rudolf war nach Auskunft seines Sekretariats bis einschließlich gestern auf Geschäftsreise – und zwar in Italien. Heute habe er sich einen Tag Urlaub genommen, ich könne ihn eventuell zu Hause erreichen. Aber auf dieses zweifelhafte Vergnügen habe ich verzichtet.«

Die Platte mit den Arien war zu Ende. Laura stand auf und stellte das Grammofon ab.

Mark deutete auf die leere Tasse, die neben ihm auf dem Boden stand. »Laura, kannst du bitte aus der Küche die Teekanne holen? Und eine Tasse für dich, wenn du auch einen Tee möchtest.«

»Gerne, und dann erzählst du weiter.«

Er nickte und nahm den letzten Briefumschlag aus dem Karton. Zunächst studierte er das Datum des Poststempels, dann zog er den Brief heraus, entfaltete ihn behutsam und begann zu lesen.



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