Vaterjahre by Michael Kleeberg

Autor:Michael Kleeberg [Kleeberg, Michael]
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
Tags: Roman
Herausgeber: Deutsche Verlags-Anstalt
veröffentlicht: 2014-05-20T22:00:00+00:00

Kapitel 1

PRIVATLEBEN

Den ganzen Vormittag schon pfeifst du die Arie »Toreador« aus Carmen, und auf dem inneren Prompter läuft dazu der verballhornte deutsche Text mit. Heute Abend kommen sie und bleiben übers Wochenende. Zu sagen, dass du dich darauf freust, wäre gelogen.

Er ist auf dem Weg zu der schönen Klinkervilla der Eriksens am Groten Diek, um Luisa abzuholen, die nach dem Kindergarten von Laura mitgenommen worden ist, um mit Annette zu spielen. Annette, zwei Jahre älter als Lulu, kommt nach den Ferien in die Schule.

Vor drei Tagen hattest du (was nichts mit diesem Besuch zu tun hat) einen intensiven und angenehmen Traum, in dem du mit Laura gevögelt hast. Du meinst jetzt noch, ihre Brustspitzen zwischen Daumen und Zeigefinger zu spüren und ihren Hintern, den sie gegen dich drückt. Unglaublich! Woher hast du ihren nackten Körper genommen? Denn du hast sie in der Wirklichkeit nie anders als völlig angezogen erlebt, da ist nie auch nur eine Spur von Flirt gewesen, es sind einfach Eltern aus der Kita, sie und Andreas, deshalb duzt man sich natürlich, ich meine, bei vierzehn Kindern kennt man einander, und letztes Jahr wart ihr zu der gemeinsamen Geburtstagsparty der Eheleute eingeladen, die ihren Vierzigsten mit einem großen Gartenfest gefeiert haben. Also keine Freundschaft, eine lockere Bekanntschaft, nichts zu Verschweigendes, wer kann für seine Träume?

Andererseits: Natürlich bist du scharf auf sie, also scharf auf abstrakte und prinzipielle Art und Weise, scharf auf den Typus, der allerdings, groß, schlank, sportlich, im Grunde der gleiche ist wie der Heikes. Vielleicht ja gerade deshalb. Abstrakt und prinzipiell heißt, dass du nie im Leben etwas bei ihr versuchen würdest und auch nicht glaubst, dass sie jemals derartige Gedanken gehegt hat oder hegen wird, nichts deutet darauf hin, dass die Ehe nicht perfekt wäre – beide Ehen natürlich, aber bitte: Man wird ja mal träumen dürfen, umso mehr, als mir momentan die Geilheit zu den Ohren rauskommt, und das ist etwas, worüber man nicht reden kann, sagen wir: worüber ich nicht reden will, mit wem auch außer mit Heike selbst, sei es, dass sie noch in dieser hormonellen Brutphase ist seit Max’ Geburt, wo die Frauen kein Interesse haben, sei es, dass sie sich da unten unwohl und unsicher fühlt wegen des Labienrisses, der ziemlich heftig war, jedenfalls: Sie ist zärtlich, sie ist lieb, sie streichelt auch, aber sie hat keinen Sinn für Sex, seit einem Jahr, also bitte, was bleibt einem treuen Ehemann, außer zu wichsen und tagzuträumen, bis es hoffentlich irgendwann mal wieder anders wird, und Laura eignet sich eben zum unschuldigen Tagträumen. Nimmt ja niemandem was weg.

Keine Reaktion auf das Klingeln an dem in den weißen, geschwungenen Sylter Zaun eingelassenen Messingknopf, also ziehst du das Tor von innen auf und gehst am Haus vorbei an dem Rhododendronmassiv entlang nach hinten in den Garten. Da kannst du sie schon hören. Und sehen, Laura jedenfalls. Jeans, T-Shirt, an den nackten Füßen die grünen Gartenclogs aus Gummi, steht sie da und sprengt, den schwarz-gelb gezackten Gartenschlauch in der Rechten, die Rosensträucher, die im Schatten liegen.

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