Vater, Mutter, Tod (German Edition) by Langer Siegfried

Vater, Mutter, Tod (German Edition) by Langer Siegfried

Autor:Langer, Siegfried [Langer, Siegfried]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller
ISBN: 9783843700412
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH
veröffentlicht: 2011-05-12T22:00:00+00:00


16. Kapitel

Sechs Tage vor der Katharsis;

abends

Die Frau hielt den Jungen an der Hand und zog ihn hinter sich her. Als sie die gläserne Eingangstür des Mietblocks in Berlin-Neukölln aufschloss, wünschte sie sehr, unbemerkt eintreten zu können.

Ihre Hoffnung wurde nicht erfüllt.

Wie so oft öffnete sich die Wohnungstür im Hochparterre.

Die alte Frau Lutter starrte der Frau mit zusammengekniffenen Augen entgegen. Während sie zum Sprechen ansetzte, schob sie mit der Zunge ihr Gebiss an die korrekte Stelle.

»Ach, Sie sind es. Heute geht es hier wieder zu wie im Taubenschlag.«

Wenn dein Ohr nicht ständig an der Wohnungstür kleben würde, hättest du auch deine Ruhe, dachte die Frau.

»Guten Tag, Frau Lutter«, sagte sie und spielte der Alten Freundlichkeit vor.

Mit ihrer zittrigen Rechten strich sich Frau Lutter durch spärliches Haar und einen Rest Frisur.

»Diese Russenkinder sind wieder den ganzen Tag die Treppen rauf- und runtergerannt.«

Um zum Aufzug zu gelangen, musste die Frau leider direkt an der Tür der Alten vorbei. Die Frau war inzwischen davon überzeugt, dass Frau Lutter die Wohnung damals aus strategischen Gründen gewählt hatte. An keiner anderen Stelle im Haus hatte man einen besseren Überblick darüber, wer wann aus und ein ging.

Lange kann die Vettel hier nicht mehr den Pförtner spielen, dachte die Frau. Vielleicht sollte ich ihr schon mal ein paar Prospekte von Altersheimen in den Briefkasten werfen.

»Ja, wen haben wir denn da? Winnetous kleinen Bruder?«

Frau Lutter spielte auf den Plastik-Federschmuck an, der den Kopf des Jungen zierte. Sie beugte sich nach vorn und versuchte, den Jungen in die Wange zu kneifen. Der wich ängstlich zurück.

Die Frau fühlte sich an eine Szene aus ›Hänsel und Gretel‹ erinnert.

Fehlte nur noch die Katze auf dem Buckel.

»Kommt wohl zum Spielen zu Ihrem Sohn, der Kleine.«

»Was meinen Sie?«

»Na, ist doch sicher ein Spielkamerad von Ihrem Sohn. Er ist ja ganz blass. Ist er krank?«

»Ich weiß überhaupt nicht, was Sie von mir wollen: Das ist mein Sohn!«

Frau Lutter sah sie verwirrt an.

»Aber …«

Ehe die Alte ihren Satz vollenden konnte, hatte die Frau den Jungen schon von ihr fort und in den Aufzug geschoben. Sie drückte die Taste mit der Ziffer ›8‹.

Während sich die Fahrstuhltür schloss, rief ihr die Alte hinterher, was sie noch hatte sagen wollen.

»… ich kenne doch Ihren Sohn, Frau Hinz.«



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