Unterm Strich by Steinbrück Peer
Autor:Steinbrück, Peer [Steinbrück, Peer]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch-Politik
ISBN: 3455501664
Herausgeber: TUX
veröffentlicht: 2010-10-23T22:00:00+00:00
Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich in Deutschland stärker geöffnet als in fast allen anderen europäischen Ländern. Der Anteil der Menschen, die über 200 Prozent des mittleren Einkommens (Median) verfügen, hat zwischen 1996 und 2006 um 6,4 Prozent auf 9,2 Prozent zugenommen. Zugenommen hat auch der Anteil derjenigen, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens in der Tasche haben - nämlich von 7,3 auf 11,4 Prozent. Wer die Entwicklung der Lohnquote, also des Anteils von Löhnen und Gehältern an der jährlichen Wirtschaftsleistung, in den letzten Jahren verfolgt hat, wird darüber nicht verwundert sein können. Sie ergibt zusammen mit der Quote aus Gewinnen und Kapitaleinkünften 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Diese Lohnquote ist zwischen 1998 und 2007 von 70,4 auf 64,2 Prozent und damit auf den niedrigsten Stand seit der Vereinigung zurückgegangen. 2009 hat sie sich auf 67,5 Prozent erholt. Dagegen ist die Gewinnquote auf Rekordhöhen geklettert. Hinter den harmlos anmutenden Prozentsätzen stehen bei einer Wirtschaftsleistung von 2400 Milliarden Euro erhebliche Beträge in absoluten Zahlen.
Die Ursachen dieser massiven Verschiebungen zu Gunsten von Gewinnen und Kapitaleinkünften und zu Lasten von Löhnen und Gehältern erschließen sich verhältnismäßig leicht. Die realen Löhne und Gehälter der abhängig Beschäftigten sind fünf Jahre hintereinander, von 2004 bis 2008, gesunken. Unter Berücksichtigung der Inflationsrate haben viele (westdeutsche) Arbeitnehmer heute nicht mehr in der Tasche als in den achtziger Jahren. Darüber sind zwar die Lohnstückkosten in Deutschland ebenfalls gesunken, was unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert und manchen Arbeitsplatz gewiss sicherer gemacht hat, aber Löhne und Gehälter sind eben nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch ein Einkommensfaktor, der die chronisch schwache Binnennachfrage in Deutschland jedenfalls nicht gestärkt hat.
Die schmalen Geldbörsen oder spärlichen Kontostände von Vollzeitbeschäftigten, an denen in den unteren Einkommenskategorien die Steuer- und Abgabenentwicklung der letzten Jahre - entgegen manchem abgeleierten Schlager - keinen Anteil hatte, und die Zunahme unsicherer Beschäftigung haben ein Ausmaß angenommen, das zu ignorieren teuer zu stehen kommen könnte. Diese Erfahrungen werden durch Nachrichten aus der belle etage der Gesellschaft komplettiert, die die wachsende Kluft in der Einkommens- und Vermögensverteilung belegen und ein »kollektives Missvergnügen« befördern. In den 20 Jahren seit Einführung des Deutschen Aktienindex Dax (1988) sind einer Auswertung der Unternehmensberatung Kienbaum zufolge die Gesamtbezüge der Dax-Vorstände um 650 Prozent gestiegen, die von Geschäftsführern nichtbörsennotierter Unternehmen um rund 100 Prozent und die von leitenden Angestellten um 80 Prozent. Verdiente ein Topmanager im Jahr 1976 durchschnittlich das 15- bis 20-Fache eines Angestellten, so kletterte dieses Verhältnis im Lauf der folgenden drei Jahrzehnte auf das 43-Fache, mit steigender Tendenz. Ausschläge bis hin zum 100-Fachen sind keine Ausnahme. Im Jahr 2007 betrug das Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland - also nach Abzug ihrer Verbindlichkeiten - etwa 6,6 Billionen Euro. Das reichste Zehntel der Bevölkerung besaß davon mehr als 60 Prozent. Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung hielten 2007 nur noch 15 Prozent der Bürger die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland im Großen und Ganzen für gerecht, dagegen weit mehr als 50 Prozent für ungerecht. Die Umfrage zeigte auch eine starke Präferenz für Wohlfahrtsstaaten nach skandinavischem Muster.
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