Unter dem Eis by Klönne Gisa

Unter dem Eis by Klönne Gisa

Autor:Klönne, Gisa [Klönne, Gisa]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783548920962
Herausgeber: Ullstein Taschenbuch
veröffentlicht: 2012-06-08T10:54:45+00:00


Die Stadt fiebert. Wie ein zuckendes, überhitztes Organ kommt sie Manni vor. Die sich ankündigende Dämmerung hat die Menschen aus ihren Häusern und Wohnungen getrieben. Ein Geruchsmischmasch aus Grillfleisch, Parfüm, Asphalt und Benzin wabert durch die geöffneten Autofensterscheiben, begleitet von Musikfetzen und Gelächter. Am Aachener Weiher lümmeln leichtbekleidete Studentinnen und ihre Begleiter Kölsch trinkend auf der Wiese, hier und da qualmt ein Grill, im Biergarten sitzen sie dicht an dicht und reden aufeinander ein. Lauter schöne, junge, braungebrannte Menschen, die den Anspruch auf ihr Glück als eine Selbstverständlichkeit verbuchen, so selbstverständlich, dass sie nicht einmal darüber nachdenken. Seit wann ist es so, dass er sich ihnen nicht mehr zugehörig fühlt?

Die Ampel schaltet auf Grün, Manni gibt Gas, passiert den Melatenfriedhof und manövriert seinen GTI wenig später in eine Parklücke vor dem Rechtsmedizinischen Institut. Ein Leichenwagen schnurrt die Zufahrt zum Kellergeschoss hinunter, wo die Kühl- und Obduktionsräume sind. Manni entscheidet sich für den offiziellen Eingang und erklimmt die hässlichen Betonstufen. Ungewöhnliche Geräusche dringen an sein Ohr. Ein metallisches Klacken, ein französischer Chanson. Manni erreicht den Platz zwischen den Waschbetonfassaden der beiden Gebäudetrakte des Instituts. In dem mehrere Quadratmeter großen, jahrelang gänzlich kahlen Pflanzkübel proben neuerdings ein paar Bambuspflanzen das Überleben. Dr. Karl-Heinz Müller steht im Kiesbett und bückt sich soeben nach einer Boulekugel. Er trägt hellbraune, nur ganz leicht verknitterte Seidenhosen und ein rosa Poloshirt. In seinem Mundwinkel klemmt eine Zigarette. Manni schlendert zu ihm hinüber und lehnt sich an die sonnenwarme Fassade.

»Ich dachte, es gibt bessere Bouleplätze in dieser Stadt.«

»Zigarettenpause.« Müller saugt bekräftigend an seinem Glimmstängel. »Man muss trainieren, wo man kann.«

»Tja.« Manni schiebt sich ein Fisherman’s in den Mund.

»Am Sonntag ist ein Turnier in der Südstadt. Wir hätten gute Chancen gehabt, aber nun fällt meine hochverehrte Partnerin aus«, sagt der Rechtsmediziner. »Eine SMS ist das Letzte, was sie mir zugedacht hat.« Müller tritt seine Davidoff aus. »Kanada. Wie geht’s ihr denn, du weißt doch sicher mehr?«

Die Krieger spielt also Boule mit Karl-Heinz Müller. Ob die beiden was laufen haben? Manni schiebt das Fisherman’s mit der Zungenspitze in die Backentasche. »Am Montag ist sie wieder da. Sie sucht eine alte Schulfreundin. Mehr weiß ich auch nicht.«

»Alle suchen jemanden. Scheint zur schlechten Angewohnheit zu werden dieser Tage. Oder hast du deinen Jungen inzwischen gefunden?«

»Schön wär’s.« Manni denkt an die blau lackierte Ente, aus deren Faltdach 7oer-Jahre-Oldies wehen, an Judith Kriegers schwarz lackierte Zehennägel und die Hippielocken. Ziemlich unwahrscheinlich, dass der stets adrette Junggeselle Müller auf so was steht. Falls er überhaupt auf Frauen steht. Reiß dich zusammen, Mann, und fang jetzt bloß nicht wieder mit Miss Cateye an. Manni räuspert sich.

»Hast du schon feststellen können, woran der Dackel gestorben ist?«

Der Rechtsmediziner tippt mit dem Fuß auf ein Holzköfferchen, in dem drei unbenutzte Boulekugeln liegen. Er wirft das Schweinchen ins Kiesbett, dann seine erste Kugel. Sie landet hart, dass der Kies nur so spritzt, gut 15 Zentimeter hinter der kleinen Holzkugel. »Du bist dran.« Karl-Heinz Müller grinst Manni auffordernd an.

Mannis erster Wurf missglückt völlig, der zweite endet im Bambus, der dritte ist schon ziemlich gut, wenige Zentimeter neben dem Schweinchen.



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