Unter dem Drachenbaum by Horst Uden

Unter dem Drachenbaum by Horst Uden

Autor:Horst Uden
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9788494342943
Herausgeber: Zech Verlag
veröffentlicht: 2015-06-13T00:00:00+00:00


Der Regen-Heilige

Eine alte Bauernregel auf La Gomera lautete:

'Wenn’s die Heil’ge Kathrin nicht regnen läßt,

Sankt Andreas bestimmt die Erde näßt!'

Und soweit auch die Ältesten zurückdenken konnten, stets hatte der Spruch gehalten, was er besagte.

Doch in diesem Jahre schien er nicht in Erfüllung gehen zu wollen. Ausgedörrt lag das Land, unentwegt brannte seit August die sengende subtropische Sonne auf die Insel nieder und verwandelte das schwarzbraune Lavagestein in glühende Felsblöcke.

Am niedergeschlagensten waren die Bewohner von Valle Hermoso. Was sollte aus ihrer Saat werden? Wie konnten sie das nächste Jahr überstehen, wie ihr Vieh am Leben erhalten? All’ die flehentlichen Gebete, die sie zum Himmel sandten, waren bisher umsonst: nicht der kleinste Regenschauer belohnte ihr inständiges Bitten. Und welche Gelübde sie auch taten, der Tag der Heiligen Katharina ging vorüber, und noch immer zeigte sich keine hoffnungsreiche Wolke am Himmelsgewölbe, das wie ein blauflammender Metallsturz über dem Eiland lastete.

In ihrer Not wandten sie sich an den Cura des Dorfes, Don Manuel. Doch der einzige Trost, den ihnen der Pfarrer zu spenden wußte, war sein Ausspruch: 'Wenn Gott nicht will, da hilft auch kein Heiliger als Fürsprecher.'

Selbst der betagte Schulmeister wußte keinen anderen Rat als die alte Bauernregel:

'Wenn’s die Heilige Kathrin nicht regnen läßt,

Sankt Andreas bestimmt die Erde näßt!'

Er hatte sie in der Kindheit gelernt, und noch immer war sie in Erfüllung gegangen.

Und mit neuer Inbrunst flehten die Gläubigen zu dem Regen-Heiligen.

Der Tag vor Sankt Andreas war herangekommen. Heißer und unbarmherziger brannte die Sonne als je an einem 29. November. Die letzte Hoffnung der Bewohner von Valle Hermoso war geschwunden. Nur einer vertraute fest auf die Wunderkraft des Heiligen: der alte Cubas, der Totengräber des Dorfes.

'Kleinmütige!' rief er den auf dem Kirchplatz Versammelten zu, 'noch nie hat uns Sankt Andreas im Stich gelassen! Morgen nach der Messe wollen wir den Heiligen in feierlicher Prozession zu dem kleinen Teich ins Tal von Tejo tragen. Beim Anblick des Wassers wird er sich erbarmen und uns seine Hilfe nicht weigern!'

'Bravo!' schrien die Umstehenden, 'der alte Cubas hat recht! Pfeift den Nachbarn, alle sollen am Bittgang teilnehmen!'

Und schon lief Diego, der Sohn des Totengräbers, aus dem Dorf, erkletterte den Felsen von Garajonay, und wenige Augenblicke später tönte sein schrilles Pfeifen über Hügel und Bergketten bis zu den entferntesten Gehöften, die Bewohner zur Regenprozession zu laden.

Denn so, wie Diego die Bauern im Umkreise benachrichtigte, so verständigen sich noch heute die Leute von La Gomera durch Pfeifen über die ganze Insel hin. Drei Arten gibt es, mit der sie ihre auf der Welt einzig dastehende 'Pfiff-Sprache' übermitteln, die noch aus der Zeit der Ureinwohner stammt: Den schrillen Pfiff mit zusammengepreßten Lippen, der durch die Mundwinkel pfeift und die Skala des ganzen Alphabets umfaßt, den warnenden Pfiff auf den V-förmig in den Mund gesteckten Fingern, und den lockenden Pfiff mit gespitzten Lippen, der am Abend ertönt, wenn sie mit ihren Mädchen von Berghof zu Berghof ›plaudern‹...

Golden dämmerte der Morgen des hoffnungsreichen Tages heran. Die kleine Kirche von Valle Hermoso faßte kaum die Gläubigen, die sich Kopf an Kopf in dem schmalen Raume drängten.



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