Unter Linken by Jan
Autor:Jan
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-09-15T00:00:00+00:00
OPFERNEID – DIE LINKE UND DER ANTISEMITISMUS
Genau 31 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Angehörigen der Roten Armee stand ein junger, der linken Sache tief ergebener Deutscher in der Abfertigungshalle eines ostafrikanischen Flughafens, um aus den Insassen einer entführten Passagiermaschine die Juden zum Zwecke einer terroristischen Sonderbehandlung auszusondern. Er benutzte ein Megaphon, um die Stimme zu schonen, seine Maschinenpistole trug er lässig auf dem Rücken. »Ich werde jetzt die Namen der hier Anwesenden vorlesen, wenn Sie Ihren Namen hören, stehen Sie auf und gehen in einen Nebenraum«, sagte er. Dann nahm er den ersten blauen israelischen Pass aus dem Stapel vor ihm und begann methodisch vorzulesen. »Hannah Cohen.« Eine Frau begann leise zu schluchzen. »Baruch Gross.«
Der junge Deutsche war kein rassistischer Antisemit, vielmehr handelte er im Namen einer Überzeugung, die jeder Form von Diskriminierung und Ausgrenzung den Kampf angesagt hat. Da er eine normale Schullaufbahn durchlaufen hatte, darf man annehmen, dass er in Kenntnis der mörderischen Selektionspraxis handelte, die ein Großteil der europäischen Juden nach den deutschen Beschlüssen zur »Endlösung« nicht überlebte. Eine Frau, deren Namen er aufrief, trug noch ihre ins Fleisch gestochene Lagernummer auf dem Unterarm. Sie hielt ihrem Peiniger die Nummer entgegen, er antwortete, er sei kein Nazi, sondern Idealist und bereite die Weltrevolution vor. Damit war der Fall für ihn erledigt.
Die Entführung des Air-France-Fluges AF 139 von Tel Aviv nach Paris im Jahr 1976 durch ein deutsch-palästinensisches Terroristenteam unter Leitung des Soziologiestudenten Wilfried Böse und seiner Genossin Brigitte Kuhlmann ist eine in jeder Hinsicht bemerkenswerte Episode in der Geschichte der deutschen Befreiungsbewegungen. Sie zeigt nicht nur, wie weit die politmoralische Selbstermächtigung gehen kann, die aus einem tadellosen Gewissen erwächst, sie weist auch auf eine Geschichtsblindheit hin, die sich wohl am besten mit einer besonderen Gesinnungsverpanzerung erklären lässt. Max Scheler hat das Grauen vor den Deutschen im Ersten Weltkrieg auf deren ideologische Tüchtigkeit zurückgeführt, die sie selbst das schlichte Geschäft der Stecknadelproduktion mit idealistischem Pathos betreiben lasse, wie er kopfschüttelnd anmerkte. Den meisten Deutschen ist diese Tüchtigkeit dankenswerterweise über die vergangenen sechzig Jahre abhandengekommen. Nur in bestimmten politischen Quartieren hat sie ein Reservat gefunden, in dem sie als Resttugend überleben konnte.
In der bundesrepublikanischen Linken wurde die unheimliche Auferstehung des Deutschen, der für eine höhere Sache Juden von Nichtjuden trennt, kaum diskutiert. Man reagierte allenfalls betreten, wenn nicht sogar offen aggressiv. Im Anschluss an die spektakuläre Befreiungsaktion, mit der eine israelische Anti-Terror-Einheit die Geiselnahme im ugandischen Entebbe beendete, standen große Teile der Linken zwar kopf, aber nicht wegen der verstörenden Kontinuität deutscher Judenfeindschaft, sondern um gegen den »israelischen Gewaltakt« zu protestieren und die »flagrante Verletzung der Souveränität eines Mitgliedsstaates der Vereinten Nationen«: Gemeint war damit die Dschungeldespotie unter dem Blutsäufer Idi Amin, dem nun in Ergebenheitsadressen »unsere uneingeschränkte Solidarität« versichert wurde.
Einer der wenigen, die fanden, dass hier eine Grenze überschritten worden war, die nicht hätte überschritten werden dürfen, war Joschka Fischer, damals 28 Jahre alt, Taxifahrer und in der linken Frankfurter Szene, aus der auch Böse kam, bestens vernetzt: »Das geschieht denen recht«, sagte er,
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