Unter Brüdern by Pete Dexter

Autor:Pete Dexter [Dexter, Pete]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Liebeskind
veröffentlicht: 2015-02-18T23:00:00+00:00

DIE ALTEN FRAUEN SIND DIE ERSTEN, die am frühen Morgen auf die Chadwick Street treten. Sie kommen bei Tagesanbruch aus ihren Häusern hervor, im Bademantel und mit Pantoffeln, und fegen die Treppe und den Bürgersteig vor ihrer Haustür.

Früher haben sie für ihre Männer gefegt, jeden Morgen, wenn ihre Männer getrunken hatten und nicht nach Hause gekommen sind.

Inzwischen sind die Männer tot, aber die alten Frauen sind noch da, schimpfen über den Bürgersteig und die Penner, die ihn benutzen, verschaffen sich Bewegung und Wärme, um das Gefühl loszuwerden, dass sie allein in einem kalten, leeren Haus aufwachen.

Vier solche Frauen gibt es noch im Block, zwei davon sind Schwestern. An diesem Morgen tritt die ältere aus ihrer Tür, betrachtet den frostigen, halbdunklen Himmel über den Dächern jenseits der Straße, und als sie schließlich zum Haus ihrer Schwester hinüberschaut, merkt sie, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Sie kann nicht gleich sagen, was es ist. Es herrscht Stille, die Straße ist mit Reif überzogen. Erneut lässt sie den Blick zu den Dächern jenseits der Straße wandern, dann zum Haus ihrer Schwester. Und jetzt sieht sie, dass sich dort etwas bewegt.

Sie geht über die Straße, setzt sorgfältig einen Fuß vor den anderen, um nicht auszurutschen, und geht bis zu einer Stelle, die ein paar Meter von der Tür zu Nick DiMaggios Sporthalle entfernt ist. Die Tür ist eingeschlagen und hängt schief in den Angeln, ihre obere Hälfte bewegt sich im Wind. Auf der Treppe sind überall Holzsplitter, und dazwischen liegt der alte Mann, der hier seit Monaten ein und aus geht.

Die alte Frau steht reglos da und starrt ihn an. Er sieht nicht schlecht aus, nur zum Friseur müsste er mal wieder. Die alte Frau glaubt, er sei die Treppe heruntergefallen.

Sie geht wieder über die Straße, klopft an die Tür ihrer Schwester und bedauert, dass sie den alten Mann nie zum Kaffee eingeladen hat.

Sie hört, wie auf der anderen Seite die Schlösser aufgesperrt werden – drei. Dann öffnet sich die Tür.

»Es ist was passiert«, sagt die alte Frau. »Wir müssen Nicky anrufen.«

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