Unsühnbar by Ebner-Eschenbach Marie

Unsühnbar by Ebner-Eschenbach Marie

Autor:Ebner-Eschenbach, Marie
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Manesse
veröffentlicht: 2016-01-21T16:00:00+00:00


13

In der Nähe von Dornach, auf dem seit Langem unbewohnten Gute Rakonic, hatten sich zwei junge Ehepaare angesiedelt. Die Männer waren Brüder, die Frauen Schwestern. Sie gehörten den vornehmsten Gesellschaftskreisen an und betrieben den Sport als Beruf, mit angeborenem und energisch ausgebildetem Talent. Überdies gab es in etwas verwickelten Ehrensachen keinen höheren Richter als die Grafen Clemens und Gustav und im Punkte echter Eleganz keine nachahmungswürdigeren Vorbilder als die Gräfinnen Carla und Betty Wonsheim. Es gab auch in der weiten Welt nicht wieder vier Menschen von so vollkommener Übereinstimmung in ihren Lebensanschauungen, ihren Verhältnissen, ihrer Bravheit, ihrer kindlichen Unwissenheit. Den Brüdern sah man ihre nahe Verwandtschaft sofort an. Beide waren mittelgroß und breitschultrig, ihre Scheitel schon etwas gelichtet; sie hatten ein äußerst gelassenes Wesen, sprachen langsam und in derselben bedächtigen Art. Im Äußeren der Schwestern hingegen herrschte die größte Verschiedenheit. Carla, die Ältere, schlank und blond, glich der Schwind’schen Melusine39. Betty, braun, klein, neigte zur Fülle und unterzog sich infolgedessen einem ziemlich strengen «Training». Sie rühmte sich, nie anders als mit dem Springgurt geritten zu sein. «Was hat man denn für einen Rapport mit dem Pferd», fragte sie, «wenn man auf so einer Maschin von einem Sattel oben sitzt?» Ihre Lebhaftigkeit bildete einen angenehmen Gegensatz zu dem gemessenen Benehmen ihrer Angehörigen. Sie war sehr verliebt in ihren Clemens, und er ließ sich ihre Zärtlichkeit gefallen und hatte, obwohl seit einem ganzen Jahre verheiratet, noch nicht eine Untreue an seiner kleinen Frau begangen. Gustav und Carla hingegen verkehrten miteinander mehr wie zwei gute Gesellen denn als ein junges Ehepaar. Jedes brave eheliche Verhältnis endet mit Freundschaft; sie ersparten sich den Umweg und fingen gleich bei der Freundschaft an.

Sobald die Fahnen auf den Türmen des Schlosses Dornach die Anwesenheit des Herrn und der Frau des Hauses verkündeten, fanden Wonsheims sich dort ein und wurden oft und gern gesehene Gäste. Sie verlangten aber auch Erwiderung ihrer Besuche, Teilnahme an ihren Interessen. Es verdross alle, wenn eine ihrer Einladungen von Maria ausgeschlagen wurde, weil sie «zu tun» hatte. – Und was? – Krippen errichten, ein Versorgungshaus bauen, ein Spital, «und immer machen, als ob sie dabeistehen müsst – wenn das nicht Affektationen sind», meinten sie, «dann kennen wir uns überhaupt in solchen Sachen nicht mehr aus».

Sie waren einmal von einem betrunkenen Taugenichts angebettelt worden, der ihnen auf die Frage, woher er sei, geantwortet hatte: «Aus Dornach.»

«Wie – daher? Gibt’s denn noch arme Leut in Dornach? Dort is ja der Himmel für die Armen.»

Der Taugenichts zwinkerte schlau und sprach in kläglichem Tone: «Für den armen Herrn Spitalsverwalter und Aufseher, und wie die liebe Bagage sich titulieren lässt … für die wird’s wohl der Himmel auf Erden sein, die liegen auf der faulen Haut und fressen sich an. Ein wirklich Armes hat’s in Dornach grad so schlecht wie überall.»

Das war Wasser auf die Mühle der Wonsheims, und sie fragten nicht, ob es aus trüber Quelle floss.

Eines Tages, als wieder eine verneinende Antwort aus Dornach eintraf, schnellte Betty den Brief, der die Absage enthielt, durch das offene Fenster, dass er weithin flog, die Luft mit der Kante durchschneidend.



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