Ungeschehen by Tina Seskis

Autor:Tina Seskis [Seskis, Tina]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644534216
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2014-12-01T16:00:00+00:00

27

Andrew saß an seinem grauen, leeren Schreibtisch und blickte auf den Verkaufsbericht, der vor ihm lag. Die Zahlen ergaben keinen Sinn. Er wusste, dass er in der Firma verrufen war – seine Affären waren ja immer so offenkundig gewesen –, doch an seiner Tüchtigkeit als Mitarbeiter hatte bis vor kurzem niemand gezweifelt. Das hatte sich geändert, in letzter Zeit wusste er kaum noch, wie er durch den Tag kommen sollte, und ihm war klar, dass sein Chef bald reagieren würde, wenn er sich nicht zusammenriss.

Angefangen hatte die ganze Misere, als seine Frau sich endlich entschlossen hatte, sich von ihm zu trennen. Er war sich ihrer so sicher gewesen, dass nicht einmal ihre Abscheu über sein Verhalten auf Emilys Hochzeit zu ihm durchgedrungen war. Deshalb hatte er ihr auch nicht geglaubt, als sie ihm im Auto auf der Rückfahrt von Devon ruhig und sachlich eröffnete, dass sie ihn verlassen würde. Als sie dann tatsächlich ihren Koffer packte und noch am selben Abend auszog, war er überzeugt, sie würde zurückkommen. Wohin sollte sie denn auch gehen? Doch sie war nicht zurückgekommen, und er hatte plötzlich gemerkt, wie hilflos er war: Er wusste nicht, wie die Waschmaschine funktionierte, er konnte sich nicht einmal eine einfache Mahlzeit kochen. Er wusste nicht, wohin Frances verschwunden war. Er rief bei sämtlichen Leuten an, die ihm einfielen – bei ihren Freundinnen, bei ihrer Schwester, bei Caroline, aber sie war nirgends. Schließlich ging ihm ein Licht auf, und er fuhr zu Ben und Emily, obwohl die beiden noch auf Hochzeitsreise waren. Er bat und flehte, er trommelte an die Haustür, doch Frances machte nicht auf. Zu spät erkannte Andrew, dass seine Frau ein Mensch war, der sich unendlich viel gefallen ließ, jedoch unerbittlich war, wenn eine gewisse Grenze überschritten worden war. Sie hatte schon länger einen Schlüssel für das Haus gehabt, trotzdem kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass sie sich niemals dort eingenistet hätte, wäre sie nicht absolut am Ende gewesen.

Je länger das Alleinsein dauerte, desto schlechter ging es Andrew, zumal Frances deutlich aufzublühen und ihr Leben zu genießen schien. Von Caroline hörte er, dass sie sich eine schicke neue Frisur zugelegt hatte und vorhatte, an einer Wanderreise nach Kenia teilzunehmen, die von einer Hilfsorganisation angeboten wurde, um Spenden zu sammeln. In seinem Elend versuchte er sogar, Victoria ausfindig zu machen – schließlich war sie die Frau, die er immer geliebt hatte –, doch als er sie fand, ignorierte seine ehemalige Geliebte seine zunehmend verzweifelten Kontaktversuche und drohte ihm schließlich in einer E-Mail, sie werde die Polizei informieren, wenn er nicht aufhöre, sie zu belästigen.

Nicht einmal Sex konnte Andrew mehr reizen. Verboten, heimlich, war er Risiko und Geld wert gewesen. Jetzt jedoch, da Andrew tun konnte, was er wollte, interessierte es ihn nicht mehr, und allmählich begann er zu begreifen, was seine Frau so viele Jahre lang durchgemacht hatte. Er tat praktisch gar nichts, außer morgens zur Arbeit zu gehen, abends in seine kleine Mietwohnung zu fahren und sich mit seinem Essen, das er sich unterwegs irgendwo mitgenommen hatte, vor den Fernseher zu setzen.

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