Ungeheuer ist der Mensch by Spierling Volker

Autor:Spierling, Volker [Spierling, Volker]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Philosophie: Allgemeines, Nachschlagewerke
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2017-01-17T23:00:00+00:00

Geist und Geschichte

«Indem wir die Geschichte als diese Schlachtbank betrachten, auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden, so entsteht dem Gedanken notwendig auch die Frage, wem, welchem Endzwecke diese ungeheuersten Opfer gebracht worden sind.»

Hegel, Vorlesungen über die Geschichte

der Philosophie (PG,35)

Hegels Philosophie ist eine Philosophie des Geistes, eine die Empirie überschreitende metaphysische Ausdeutung des Absoluten als Geist. «Das Absolute ist der Geist; dies ist die höchste Definition des Absoluten.» (EIII,29) Die «absolute Tendenz» aller Bildung, Religion und Philosophie war es, diese «Definition» zu finden und (in der Entfaltung des philosophischen Systems) zu begreifen. Aus einem universalen geistigen «Drang» (PG,73) muss letztlich die ganze Weltgeschichte einschließlich des sittlichen Lebens verstanden werden. «Alles, was im Himmel und auf Erden geschieht – ewig geschieht –, das Leben Gottes und alles, was zeitlich getan wird, strebt nur danach hin, daß der Geist sich erkenne, sich sich selber gegenständlich mache, sich finde, für sich selber werde, sich mit sich zusammenschließe.» (GP I,42)

Das große Thema der Philosophie ist Hegel zufolge das Absolute. Entgegen der Tradition bestimmt er es nicht als etwas Jenseitiges, in sich Ruhendes, Überzeitliches, sondern als etwas, das in die Zeit, in die Endlichkeit, in die Geschichtlichkeit eingetreten ist. Der christliche, wenn auch neu interpretierte Hintergrund, die versöhnende Menschwerdung Gottes und die Geistwerdung des Menschen, ist erkennbar. Der göttlich-menschliche Geist erscheint als geschichtlicher Geist. Es ist das Absolute selbst, das eine geschichtliche Entwicklung durchläuft und dabei doch stets an die Aktivität, an das Denken endlicher Menschen gebunden und mit ihnen vermittelt bleibt. Der absolute Geist ist in seinen bewegten, sich entwickelnden Gestalten überindividuell und individuell zugleich zu verstehen, was in Hegels Philosophie durch mehrschichtige, einander entgegengesetzte und auf höheren Stufen wieder zusammenlaufende dialektische Reflexionen und Perspektiven zum Ausdruck kommt.

In der metaphysischen Konzeption einer Geschichte des Absoluten erreicht der Geist durch die «ungeheure Arbeit der Weltgeschichte», durch die «Arbeit aller vorhergehenden Generationen des Menschengeschlechts» (GPIII,465), das Wissen um sich selbst. Das gewöhnliche Wissen stellt sich nur den Gegenstand vor, ist vom Gegenstand eingenommen, an ihn gefesselt und richtet sich nicht zugleich auf sich, auf das Wissen selbst, auf das Wissen des Wissens. Im Sichselbstwissen aber ist der Geist erst bei sich selbst, ist von nichts Fremdem mehr abhängig und bedingt, durch die Selbstreflexion erst erkennt er sich als frei. Das Ziel des Geistes ist, die «Freiheit seines Wissens hervorzubringen» (EIII,234).

Der Geist ist auch das Sichselbstwissen des Individuums, aber er ist darüber hinaus weit mehr noch das Sichselbstwissen einer überindividuellen Dimension, der Dimension der Selbstreflexion des Absoluten. Die höchste Stufe, auf der der Geist sich als Geist weiß, wird in der Philosophie erreicht, die «das Denken des Denkens» (PG,93) ist. Die Philosophie ist die höchste Wahrheit und Wirklichkeit des Geistes, sein eigentliches Reich. «Die Geschichte der Philosophie ist das Innerste der Weltgeschichte.» (GPIII,456)

Der vollendete, selbstverwirklichte Geist lässt im absoluten Wissen die Zeit, das heißt jeden Prozess einer geschichtlichen Veränderung hinter sich. «Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst

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