Und morgen am Meer by Corina Bomann

Und morgen am Meer by Corina Bomann

Autor:Corina Bomann [Bomann, Corina]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783800057221
Herausgeber: Ueberreuter Verlag
veröffentlicht: 2013-01-01T23:00:00+00:00


Claudius

Ich rannte, als ginge es um mein Leben. Der zerfledderte Brief in meiner Tasche fühlte sich an, als stünde er in Flammen, und trieb mich immer weiter voran. Ich musste Milena warnen! Ich musste ihr sagen, dass sie vorsichtig sein musste. Etwas anderes ging mir in diesen Augenblicken nicht durch den Kopf. Ich wollte sie nur finden, sie sehen, sie sprechen. Ich wollte ihr sagen, dass ich auch ohne Briefe ständig an sie denken würde. Nur kein Risiko eingehen, nicht jetzt!

Eigentlich hätte ich schon viel früher kommen wollen, wusste aber nicht, wo ich die dreißig Mark für den Grenzübergang herbekommen sollte. Da ich meine Eltern nicht fragen wollte, fuhr ich kurzerhand zu Max und pumpte ihn an. Das breite Grinsen und die Bemerkung, dass ich es ja ganz schön eilig hätte, um zu meiner Liebsten zu kommen, war ihm eingefroren, als ich ihm den Brief gezeigt hatte.

»Ach du scheiße«, war seine Reaktion auf meine Vermutung, dann war er ganz blass um die Nase geworden, denn ihm fiel nun wieder seine verhaftete Verwandtschaft ein, die noch immer nicht wieder freigekommen war. Letztlich gab er mir die dreißig Mark und ich fuhr los.

Allerdings hatte ich dann auch noch an der Grenze Pech, wo die Schlange endlos war. Bis ich dann endlich in den Zug in Richtung Alex springen konnte, waren drei Stunden vergangen.

Und nun rannte ich. Rannte die Schönhauser Allee hoch und bog dann in die Wichertstraße ein.

Als ich an ihrem Haus ankam, war es bereits Abend. Ein paar Kinder spielten noch auf der Straße, die Erwachsenen waren aber schon größtenteils verschwunden. Nicht mehr lange und die Wichertstraße würde vollkommen verlassen sein.

Ich fragte mich, ob es gut wäre zu klingeln und mich als Schulkamerad von Milena vorzustellen. Aber diese Idee verwarf ich gleich wieder. Ihr Vater kannte die Jungs aus ihrem Umfeld sicher und ich sah auch viel zu westdeutsch aus, als dass er mir den Schulkameraden abkaufen würde. Nein, ich wollte Milena allein sehen. Ohne dass jemand an ihrer Tür horchte.

Da ich niemanden auf dem Balkon sah und wusste, dass dahinter das Wohnzimmer war, hob ich einen Kiesel auf und warf ihn gegen das kleine Fenster, das zu ihrem Zimmer gehören musste. Würde sie sich blicken lassen? Würde sie es schaffen, sich rauszuschleichen, ohne dass jemand etwas mitbekam?

Da sich beim ersten Steinchen noch niemand zeigte, warf ich kurzerhand einen zweiten und einen dritten. Schlief sie vielleicht schon? Oder saß sie im Wohnzimmer und sah mit ihrem Vater fern? Dann hatte ich natürlich Pech und musste noch eine Weile warten.

Was die Leute hier wohl dachten, wenn jemand vor ihren Häusern herumlungerte?

Dann hörte ich von oben ein Quietschen. Das Fenster wurde geöffnet und ein Haarschopf erschien. Im letzten Abendlicht wirkten die Strähnen dunkel, doch kein Zweifel, das war sie!

Kurz blickte sie nach unten, dann, bevor ich etwas sagen konnte, zog sie sich wieder zurück. Was nun? Ich stellte mich neben die Tür des Treppenhauses und verschränkte die Arme vor der Brust. Obwohl es nicht kalt war, fröstelte ich. Lauschte auf die Treppe, doch nichts tat sich.



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