Umberto by Günter Saalmann

Umberto by Günter Saalmann

Autor:Günter Saalmann [Saalmann, Günter]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendroman
Herausgeber: EDITION digital Verlag
veröffentlicht: 2011-09-01T09:32:52+00:00


Kapitel 19

Umberto erweist sich als Helfer in der Not und erfährt von einem Kranken Belehrung über Krankheiten des Charakters.

»Nicht ... bitte, was soll das ...« Raul bemerkt das Beinepaar neben sich.

»Ich bin's, Umberto.«

Raul drückt die Arme durch wie beim Liegestütz.

»Du hast mir gefehlt«, spricht er hinab auf die Pflastersteine.

»Steh auf, Raul.«

»Die Brille«, sagt Raul. Umberto findet den leeren Brillenrahmen.

Mühsam verlagert der Kniende das rechte Bein und findet eine Stellung, aus der er sich erheben kann. Umberto nimmt seinen Arm um die Schulter.

Rauls ganzes Körpergewicht hängt an dem Arm. Schwankend machen sie den ersten Schritt.

»Zum Krankenhaus?«

»Nach Hause. Es ist bloß das Bein irgendwie ...«

Was sonst noch mit ihm los ist, verschweigt Raul. Langsam finden sie den günstigsten Takt für das Setzen der Füße, und Raul gewinnt Sicherheit. Es ist nicht allzu weit bis zu ihm nach Hause. Sie müssen nur über den Markt zurück, durch ein holperiges Stück Frongasse, bevor die Straße in Richtung Schwanenpark anzusteigen beginnt.

»Warum haben sie das mit dir gemacht, Raul? Du hast doch die Polizei nicht geholt?«

»Hätt ich nur. Markus Berger war's. Sie haben mich mit ihm verwechselt, weil er auch 'ne Brille hat. Wart 'n Moment.« Raul lehnt sich schwer atmend an einen Lampenpfahl. Der wattedichte Nebel dämpft jedes Geräusch, es ist, als wären sie allein auf der Welt.

»Verwechselt«, empört sich Umberto, »und Backe ist so ein Bulle.«

Raul lacht leise auf, seine Hand zuckt in die Rippengegend: »Mitgekriegt, was er selber eingesteckt hat?«

»Und das vor allen Anwesenden«, freut sich Umberto. »Wär nur das Mädchen nicht dazwischengegangen.«

»Das Mädchen?«

»Warst du da schon weg? Die Dicke. Die Augen wollte sie ihm auskratzen.«

»Wem, Backe?«

»Quatsch. Dem mit der Armbinde.«

Sieh an, Karla haut den Backe raus, denkt Umberto. Weil er ihr Lehrlingskollege ist. Warum sonst. Oder ob sie Abräumer auch rausgehauen hätte?

»Manch einer verkraftet's nicht, wenn er blamiert wird, besonders vor einem Mädchen. Und der braucht dann jemanden zum Wutablassen.«

»Aber Drops, was hatte der für einen Grund?«

»Dem haben sie das Moped kassiert, reicht das nicht?« Raul lächelt kläglich: »Los, weiter, es geht schon wieder.«

Rauls sonst so große, bewegliche Augen sind klein und irgendwie matt hinter der gläserlosen Brille. Bestimmt hat er jetzt starke Schmerzen.

»Es geht, wirklich. Meine Eltern werden schon die ganze Stadt zusammentelefonieren.«

Wieder fassen sie Tritt. Aber diesmal liegt die Last noch schwerer auf Umbertos Schulter, und da Raul beträchtlich kleiner ist, muss Umberto die ganze Zeit mit gebeugten Knien gehen. Allmählich meint er die Schmerzen des anderen selber in allen Gliedern zu spüren. Um sich und den Kameraden abzulenken, fragt er: »Warum hast du mir den Renntip gegeben?« Raul antwortet nicht.

»Hörst du mich?«

»Ja doch. Das frag ich mich selber. Vielleicht wär ich gern du gewesen. Mopeds! Ich kenn alle Typen, S 51 N, S 51 B und vor allem die Elektronikvariante ... «

Dieser Kullerauge, denkt der Zuhörer respektvoll. Nur fahren wird Raul alle diese Maschinen nie, so miserabel, wie der sieht. Ob das schlechte Sehen mit seiner Zuckerkrankheit zusammenhängt?

Auf einmal regt sich Freude in Umberto. Ein blöder Zufall hat geholfen, die bisherige Fremdheit zwischen ihnen beiden zu überwinden. Raul braucht ihn jetzt.



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