Ueberdog - Roman by Joerg-Uwe Albig
Autor:Joerg-Uwe Albig
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2013-03-15T00:00:00+00:00
15
Eines Tages hörte ich, als ich über die Plaza ging, Mahlers »Kindertotenlieder«. Sie klangen dünn und zugleich dringlich, wie die fernen, aber anhänglichen Seelen der verschwundenen Kleinen, wie angefüllt mit einer mächtigen Präsenz, die aus einer Abwesenheit wächst. Ich ging die Treppe zum Konzertsaal hoch. Drinnen stand Schmiddel auf dem Podium, sein Transistorradio am Ohr.
Schmiddels Transistorradio war ein tschechisches Modell. Es war über zwanzig Jahre alt; Heftpflaster hielten die Teile zusammen. Als Schmiddel noch unter der Brücke gewohnt hatte, war er oft abends, wenn ihm die Gespräche zu sentimental wurden, zu wirr oder zu wild, allein den Hang zum Bismarckdenkmal hinaufgestiegen. Dort hatte er sich unter eine Laterne gelegt und seine Sinfonien gehört.
Jetzt dröhnte die Musik durch den Raum. Das japanische Klangdesign, simuliert am Eins-zu-zehn-Modell mit zweitausend Filzpuppen und empfindlichen Mikrofonen, stärkte und sättigte den Sound. Es versah die Schallwellen mit der optimalen Reflexionszeit von 2,2 Sekunden. Schmiddel hatte die Augen geschlossen; sein Mund spitzte und entspannte sich mit den Tönen. Ich hob die Nikon und machte ein Foto; Schmiddel öffnete die Augen und sah mich mit verstörtem Blick an.
»Mach mal was Lustiges«, schlug ich vor. »Was zum Tanzen.«
Schmiddel sah mich an; er zeigte sein schönstes, scheuestes und souveränstes Lächeln. Offenbar nahm er meinen Vorschlag an; andächtig drehte er den Regler. Scheppernd erklangen die ersten Takte von »Take My Time«. Es folgte »Ainât No Woman Hard Enough« von Brick Brown, dann knödelte Zoot Mitchell »Merciful People«. Schmiddel stand da, das Gerät in der Hand, als könnten seine Finger singen. Seine FüÃe bewegten sich keinen Zentimeter.
Ohne mich umzudrehen, konnte ich spüren, wie jetzt einer nach dem anderen den Konzertsaal betrat. Das Klangdesign sog sie alle hinein, in seine kosmische Blase. »Komm, lass uns tanzen«, schlug ich vor, berauscht von meiner eigenen Verwegenheit. »Hey, das ist Musik.«
Schmiddel blieb starr. Also begann ich, selbst mit dem Oberkörper zu wiegen. Ich begann, mit den FüÃen zu zucken; ich lieà mich bewegen von der eigenen Bewegung. Und jetzt sah ich, wie auch Betty die Haare zurückwarf und in ihren wuchtigen Mammuttanz fiel, den ich von Schwanthalers Party kannte, und sie tanzte auch noch, als »Keine Feier ohne Meier« ertönte, abgelöst von »Tell Me You Are My Everywhere«. Jetzt machte auch Chuck mit, sogar Paul, der sich in Raserei steigerte. Er boxte in die Luft und schüttelte sein langes, dünnes Haar.
Es dauerte nicht lange, bis auch die anderen immer selbstverständlicher begannen, sich zu bewegen. Nur Schmiddel stand unverrückbar auf dem Podium. Standhaft reckte er das Transistorradio in die Luft, mit einer unberührbaren, fast schmerzhaften Würde.
Ich wurde übermütig, tanzte Zork an. Zork sah mich nicht; er wand sich längst in einer seiner selbstgenügsamen Posen. Er legte die Hände in den Nacken, schloss die Augen, stach mit den Ellbogen in die Luft. Er tanzte, ohne die FüÃe zu bewegen; nur die Knie rotierten in langsamen, fast schmerzhaften Kreisen. Als ich auf ihn zutanzte und ihn beim Hüftschwung leise am Arm streifte, gab er die Deckung auf. Ohne die Augen zu öffnen, versetzte er mir einen raschen, unkonzentrierten Hieb.
Ich hielt mich an Zebra, die mit ausgebreiteten Armen auf mich zukam.
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