Tyll by Kehlmann Daniel
Autor:Kehlmann, Daniel
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644035010
Herausgeber: Rowohlt E-Book
II
Gustav Adolf hatte kein Recht, ihn warten zu lassen. Nicht nur, weil es nicht die feine Art war. Nein, er durfte es buchstäblich nicht. Wie man sich anderen königlichen Personen gegenüber benahm, stand einem nicht frei, da gab es strenge Regeln. Die Wenzelskrone war älter als die Krone Schwedens, und Böhmen war das ältere und reichere Land, also genoss der Herrscher über Böhmen einem Schwedenkönig gegenüber Seniorität – gar nicht zu reden davon, dass ein Kurfürst ebenfalls Königsrang hatte, darüber hatte der pfälzische Hof einst ein Gutachten erstellen lassen, das war erwiesen. Nun war er zwar mit der Reichsacht belegt, aber der schwedische König hatte dem Kaiser, der die Acht verhängt hatte, den Krieg erklärt, und die Protestantische Union hatte die Aberkennung der Kurwürde nie akzeptiert, daher musste der Schwedenkönig ihn als Kurfürsten behandeln, und als solcher war er ihm gleichgestellt – eine Gleichstellung im allgemeinen Fürstenrang, und wenn man die Anciennität der Familie gelten ließ, war das pfälzische Haus zweifellos mehr wert als das Haus Wasa. Wie man es also wendete, es ging nicht an, dass Gustav Adolf ihn warten ließ.
Dem König schmerzte der Kopf. Ihm fiel das Atmen schwer. Auf den Geruch des Lagers war er nicht vorbereitet gewesen. Er hatte gewusst, dass es nicht sauber zuging, wenn Abertausende Soldaten mitsamt ihrem Tross an einem Ort lagerten, und er erinnerte sich noch an den Geruch seiner eigenen Armee, die er vor Prag befehligt hatte, bevor sie verschwunden war, versickert im Boden, verflogen wie Rauch, aber so wie das hier war es damals nicht gewesen, so etwas hatte er sich nicht vorgestellt. Man hatte das Lager schon gerochen, als es noch gar nicht in Sichtweite gewesen war, eine Ahnung von Schärfe und Bitternis über der entvölkerten Landschaft.
«Gott, wie das stinkt», hatte der König gesagt.
«Schlimm», hatte der Narr geantwortet. «Schlimm, schlimm, schlimm. Solltest dich waschen, Winterkönig.»
Der Koch und die vier Soldaten, die ihm die holländischen Generalstände widerstrebend zum Schutz mitgegeben hatten, hatten dumm gelacht, und der König hatte für einen Moment überlegt, ob er sich das bieten lassen durfte, aber dafür waren Narren schließlich da, so gehörte es sich, wenn man König war. Die Welt behandelte einen mit Respekt, aber dieser eine durfte alles sagen.
«Waschen soll sich der König», sagte der Koch.
«An den Füßen», rief ein Soldat.
Der König sah den neben ihm reitenden Grafen Hudenitz an, aber da dessen Gesicht unbewegt blieb, konnte er so tun, als hätte er es nicht gehört.
«Auch hinter den Ohren», sagte ein anderer Soldat, und wieder lachten alle außer dem Grafen und dem Narren.
Der König wusste nicht, was er tun sollte. Richtig wäre es gewesen, nach dem unverschämten Kerl zu schlagen, aber er fühlte sich nicht gut, seit Tagen hatte er Husten, und was, wenn dieser Mensch zurückschlug? Der Soldat unterstand schließlich den Generalständen, nicht ihm. Andererseits konnte er sich doch nicht von Leuten beleidigen lassen, die nicht seine Hofnarren waren.
Dann hatten sie von einer Hügelkuppe aus das Lager gesehen, und der König hatte seine Wut vergessen, und die Soldaten hatten nicht mehr daran gedacht, ihn zu verspotten.
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