Tunichtgut und Tunichtböse (German Edition) by Walter Christian Kärger

Autor:Walter Christian Kärger [Kärger, Walter Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863587796
Herausgeber: Emons Verlag
veröffentlicht: 2015-03-17T16:00:00+00:00

33

Madlener hätte nie gedacht, dass er die Treppen zur Praxis von Dr. Auerbach noch einmal hochgehen würde. Er erinnerte sich daran, dass er im Treppenhaus nach der zweiten oder dritten Sitzung kurz mit sich selbst gekämpft hatte, ob er ein wüstes anonymes Graffito auf den jungfräulich blütenweißen Wänden hinterlassen sollte, einfach so, weil er einem postpubertären Rachegefühl Ausdruck verleihen wollte. So etwas wie »Fuck you, Dr. Psycho« – weil Dr. Auerbach mit seinem hochtrabenden, blasierten Psychogetue und Gesülze tief sitzende Aversionen und Aggressionen seines Probanden Max Madlener geradezu herausgefordert hatte. Wäre da nicht der Anruf von Dr. Ellen Herzog genau in dem Augenblick gekommen, die ihn zu sich in die Pathologie gebeten hatte, als er schon den dicken Filzstift schreibbereit in der Hand gehabt hatte …

Er klingelte an der schweren zweiflügeligen Holztür zur Praxis. Ob dieser Besuch etwas brachte? Wahrscheinlich eher nicht. Aber wenn Madlener in seinem Ermittlermodus war, und er hatte jetzt innerlich einen Gang höhergeschaltet, nutzte er jede noch so geringe Möglichkeit, der Wahrheit auf die Schliche zu kommen, und wenn sie auch noch so unwahrscheinlich war.

Endlich ertönte der Summton, und Madlener drückte die Tür auf.

Das Gesicht der Empfangsdame erstarrte bei seinem Anblick für den Bruchteil einer Sekunde – etwa so lange, wie der Urknall gebraucht hatte, um das Universum entstehen zu lassen –, bevor die Andeutung eines verkniffen-humorlosen Lächelns auf ihrem Antlitz erschien wie bei Stalin, als er hörte, dass man ihm dereinst nach seinem Ableben ein Mausoleum errichten und ihn für diesen Zweck einbalsamieren würde.

»Ich nehme an, Sie haben keinen Termin, Herr Madlener«, sagte sie mit einem leichten Tremolo in der Stimme und stellte sich vorsichtshalber mit ihren diesmal mintgrünen Birkenstock-Sandalen vor die Tür zum Sprechzimmer, weil sie völlig zu Recht annahm, dass Madlener das Allerheiligste aufsuchen wollte. Offensichtlich traute sie ihm durchaus zu, dass er zu diesem Zweck auch Gewalt anzuwenden bereit war, denn sie verschränkte die Arme vor der Brust, um anzudeuten, dass dieser Vorsatz nur über ihre Leiche umzusetzen war. Passend zum Farbton ihrer Birkenstock-Sandalen, die auf Madleners Liste der ästhetischen Entgleisungen, die die Welt ein gutes Stück hässlicher machten, auf Platz drei angesiedelt waren – hinter dem begehbaren Darm einer Wanderausstellung der proktologischen Ärztevereinigung und den Anzügen von Florian Silbereisen –, trug Frau Zettler, an deren Namen er sich noch sehr gut entsinnen konnte, ein ebenfalls mintgrünes Kleid. Von Schnitt und Bonbonfarbton her erinnerte es ihn an die Uniform von Lieutenant Uhura vom »Raumschiff Enterprise«, aber an die alten Folgen aus der Steinzeit des Fernsehens. Er musste sich gewaltsam bremsen, um seiner ins Kraut schießenden Phantasie Zügel anzulegen, die sofort einsetzte, sobald er die Ordination von Dr. Auerbach betrat.

Vielleicht lag das aber auch an dem schwer in der Luft hängenden Parfüm der Empfangsdame, unverkennbar »Opium« von Yves Saint Laurent, das stets eine sofortige Atembeklemmung sowie eine LSD-ähnliche Reaktion seiner Sinne auslöste, vergleichbar nur mit der blitzartig einsetzenden Wirkungsweise von Agent Orange auf das Blattwerk des Dschungels im Mekong-Delta.

Madlener wurde schlagartig klar, dass sein Aggressivitätspegel und seine Angriffslust sofort astronomisch hohe Werte erklommen, sobald er hier war.

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