Treibland by Till Raether

Treibland by Till Raether

Autor:Till Raether [Raether, Till]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Kriminalroman
ISBN: 9783644503618
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2014-02-13T23:00:00+00:00


[zur Inhaltsübersicht]

Teil 2

Klabautermann

26. Kapitel

Niemand achtete auf die Frau, die morgens gegen sechs in östlicher Richtung über die Reeperbahn taumelte. Im Grunde war sie eine von vielen, die zur gleichen Zeit in unterschiedlichen Geschwindigkeiten genau das Gleiche taten: Es wurde grundsätzlich einfach viel getaumelt auf der Reeperbahn.

Die Frau war von weitem unauffällig genug: gekleidet in Grau und Schwarz, aber nicht elegant, sondern zweckmäßig, vielleicht eine Architektin, Lehrerin oder Zivilpolizistin. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der erst beim Näherkommen ein wenig wirr und am Ende vielleicht sogar schmutzig aussah.

Und beim Näherkommen sah man dann auch, was einen veranlasste, den Blick unauffällig abzuwenden und so zu tun, als wäre all dies völlig normal oder als hätte man es einfach nicht gesehen: über ihr Kinn und ihren Hals war offenbar eine dunkle Flüssigkeit gelaufen, von der noch die getrockneten Ränder und andere Reste zu sehen waren. Als hätte sie starken Kakao erbrochen und sich dann den Mund achtlos mit dem Ärmel abgewischt. Tatsächlich waren, wenn man genauer hingeschaut hätte, in den Resten der dunkelbraunen Flüssigkeit schwarze Flecken wie von Krümeln zu erkennen, Kaffeesatz, Erde. Vielleicht würde man im Vorübergehen die Ärmel ihres grauen Übergangsmantels aus dem Augenwinkel studieren und sehen, dass der rechte tatsächlich voller Flecken war. Vielleicht hätte einen irritiert, dass ihr Gesicht farbig aussah und gemustert, so, als hätte sie es sich tätowieren lassen. Vielleicht erst gerade eben. Ein Vorgang und ein Anblick, der selbst auf der Reeperbahn und in ihren Seitenstraßen nicht zum Standardprogramm gehörte.

Die Frau hatte den rechten Arm ein wenig ausgestreckt, als erwartete sie, jeden Augenblick einen stützenden Laternenpfahl zu benötigen oder sich gegen etwas wehren zu müssen, was ihr entgegenkommen könnte.

In der linken Hand trug die Frau eine alarmierende Plastiktüte.

Menschen führten Plastiktüten aus den unterschiedlichsten Gründen mit sich, aber wenn Plastiktüten dem Transport dienten, dann immer dem von festen Gegenständen. Etwas an der Plastiktüte der Frau und daran, wie sie sie in der linken Hand trug, mit Resten von Vorsicht, bemüht, sie von ihrem Bein fortzuhalten – etwas daran signalisierte einem jedoch auf den allerersten Blick, dass die taumelnde Frau in ihrer Plastiktüte eine Flüssigkeit transportierte. Eine Flüssigkeit, deren Aggregatzustand eher in Richtung pürierte Suppe ging: flüssig, aber gehaltvoll.

Es war eine rot-goldene Edeka-Tüte, die ihr eine ältere Dame in der S-Bahn gereicht hatte, bevor sie sich von der blonden Frau mit dem Pferdeschwanz weggesetzt hatte. Bis dahin hatte man bereits an den Schultern der Frau und daran, wie sie sich ziellos hoben und senkten, gesehen, dass sie kurz davor war, sich zu übergeben.

Das, was sie nun in der Tüte trug, bezeichnete man medizinisch als vomito negro, als «schwarzes Erbrochenes»: Hämorrhagie, also Blutausfluss, in den sich Gewebefetzen gemischt hatten. Dies lag, wie sich wenig später herausstellen sollte, daran, dass im Körper der Frau mit dem blonden Pferdeschwanz etwas grundsätzlich schiefgegangen war: Sie war von einer Art Lebensform besessen, deren einziges Ziel es war, den Körper der Frau in sich selbst zu verwandeln. Allerdings unterlag die Lebensform dabei gewissermaßen einem Denkfehler: indem sie versuchte, den Körper



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.