Treffen sich zwei Gene by Fischer Ernst Peter

Treffen sich zwei Gene by Fischer Ernst Peter

Autor:Fischer, Ernst Peter
Die sprache: deu, deu
Format: epub
Herausgeber: Siedler
veröffentlicht: 2017-01-12T12:11:21+00:00


Ein wundersamer Prozess

Man könnte an dieser Stelle abermals auf Christiane Nüsslein-Volhard und Eric Wieschaus verweisen, die bei ihren Vorstellungen zur Morphogenese die Möglichkeit erwogen haben, dass das werdende Leben mit einer groben Skizze des embryonalen Bauplans beginnt, dem anschließend mit dem Rückgriff auf weitere Gentypen immer genauere Einzelheiten hinzugefügt werden. Diesen angesprochenen weitläufigen Anfang konnten die Genetiker tatsächlich nachweisen, und zwar durch die Wirkung eines bestimmten Transkriptionsfaktors mit einer der beschriebenen Homöodomänen. Gemeint ist ein Genprodukt mit Namen Bicoid, dessen Name sich vermutlich dadurch erklärt, dass Embryonen ohne ein funktionierendes Bicoid-Protein – also mit einem mutierten Bicoid-Gen – ohne Kopf und Thorax bleiben, was bedeutet, dass sie zweifach (»bi«) leer ausgehen. Wie dem auch sei: Bicoid-Gene und Proteine stehen am Anfang der Wirkungskette, die zum werdenden Leben führt und ihm sowohl seine formale Richtung weist als auch die erste Strukturierung des Gesamtbildes erkennen lässt.

Zunächst wird das Bicoid-Gen am vorderen Pol des Embryos der Taufliege Drosophila aktiv. Dabei bilden die Zellen ausreichende Mengen des Bicoid-Proteins, die sich dann durch Diffusion nach hinten ausdehnen und verdünnen, wobei sich die Moleküle entlang der A-P-Achse bewegen. Die Fachwelt spricht von einem morphogenetischen Gradienten des Bicoid-Proteins. Das Fachwort »Gradient« wird dabei für den Verlauf eingesetzt, mit dem sich eine Messgröße – eine Konzentration oder eine Temperatur – mit dem Ort oder der Position ändert, also im Fall der Larven entlang der Körperachse von vorn nach hinten.

Morphogenetische Gradienten galten und gelten schon seit mehr als hundert Jahren als zentrales Konzept der Entwicklungsbiologie. Dennoch weiß man bis heute nicht genau, wie sie zustande kommen und aufrechterhalten werden. Einen morphogenetischen Gradienten gibt es in den Larven tatsächlich. Doch er scheint nach neueren Messungen weniger durch die (physikalische) Diffusion des Bicoid-Proteins geformt zu werden, als vielmehr durch die (biochemische) Boten-RNA bedingt zu sein, die vom Bicoid-Gen stammt und mit deren Hilfe das Protein mit seiner Homöodomäne hergestellt wird. Während dem Bicoid-Protein zugetraut wurde, sich durch die Zellen treiben zu lassen und durch die Larve zu diffundieren, benötigt man für den Gradienten der dazugehörigen Boten-RNA einen anderen Mechanismus. Derzeit stellt sich die Fachwelt eine Reihe von Proteinen oder gar Proteinmotoren vor, die das genetische Molekül – die Bicoid-RNA – so transportieren, dass der Bicoid-Gradient entsteht, mit dem die Entwicklung ihren weiteren Gang nehmen kann.

An dieser Stelle zeigt sich eine zwar kleine, aber erstaunliche Verschiebung im morphogenetischen Denken. Das Leben überlässt offenbar nichts oder möglichst wenig rein physikalischen Prozessen und baut lieber aktiv, also genetisch auf, was es benötigt. Der eben skizzierte wundersame Prozess zeigt, wie perfekt und präzise das Zustandekommen des Bicoid-Gradienten mit der Gesamtentwicklung des Embryos synchronisiert ist. Man wüsste gern, welcher Dirigent hier den Taktstock schwingt.

Doch so schön das alles aufzuzählen und anzuschauen ist, man bekommt als Außenstehender bei aller Datenfülle nicht den Eindruck, durch die Benennung der Proteine und RNA-Moleküle den Vorgang der Entwicklung einsehen und nachvollziehen zu können. Oben wurde das Konzept von Identitätsgenen genannt, und das Bicoid-Gen kann darunter eingeordnet werden, denn letzten Endes sorgt es, wie alle Hox-Gene, für das Entstehen von Kompartimenten, die als Gerüst für die Anordnung und den Bau komplexer anatomischer Strukturen von Lebewesen dienen.



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