Traumkristalle by Kurd Laßwitz

Traumkristalle by Kurd Laßwitz

Autor:Kurd Laßwitz [Laßwitz, Kurd]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Moewig 3535
veröffentlicht: 2014-02-05T05:00:00+00:00


Musen und Weise

Die neun Musen saßen einmal bei einem gemütlichen Kaffee in Klios Salon und amüsierten sich so gut, daß es ihnen leid tat, keine Hausschlüssel mitzuhaben. Sie beschlossen aber, recht bald wieder zusammenzukommen und dann gleich zum Tee zu bleiben.

Ja, eine Abendgesellschaft sollte es sein, aber eine recht splendide, und man könnte vielleicht auch noch den oder jenen dazu laden, nur nicht die Grazien, weil sie zu geziert sind, und auch nicht die Parzen, sie sind so griesgrämig, und beileibe nicht die Hören, denn mit so flüchtigen Personen darf eine ruhige und gesittete Muse gar nicht umgehen. Von den höheren Göttinnen kann natürlich nicht die Rede sein; diese olympischen Damen machen Ansprüche, welche in unsere Zeit nicht mehr passen. Und die Nymphen und Nereiden u. s. w., das hat denn doch einen zu niedrigen Bildungsstandpunkt, als daß unsereiner sich mit ihnen unterhalten könnte.

„Aber so laden wir doch Herren ein“, sagte Terpsichore, „dann wird der Abend sicher noch einmal so nett.“

„Wo denken Sie hin?“ erwiderte Urania stirnrunzelnd. „Unsere Herren sind noch viel arroganter als unsere Göttinnen mit Frau Hera an der Spitze.“

„Ich meine natürlich nicht die Herren Götter!“

„Nun doch nicht etwa die Heroen, die nichts können als zuhauen und Drachen totschlagen?“

„Nein, aber wie wäre es mit den Menschen?“

„Ach, die Menschen!“ seufzte Erato.

„Sie sollen sehr dumm sein“, bemerkte Kalliope, worüber die anderen lächelten; denn Kalliope galt ihnen in dieser Beziehung als etwas menschlich.

„An der Dummheit der Menschen“, begann Klio, „ist allerdings leider im allgemeinen nicht zu zweifeln, doch gibt es auch Ausnahmen; denn wie könnte man sonst von den Sieben Weisen Griechenlands sprechen?“

„Wahrhaftig“, rief Melpomene, „so laden wir doch die Weisen von Hellas ein! Können wir uns bessere Gesellschaft wünschen?“

„Es sind nur sieben“, wendete Erato ein.

„Wir verzichten auf einen Herrn!“ riefen Klio und Urania wie aus einem Munde. Die übrigen nickten dazu, sie fanden das ganz natürlich, und aus Höflichkeit sagten sie weiter nichts.

So wurde denn beschlossen, die Sieben Weisen Griechenlands zum Tee mit Abendbrot einzuladen, und es ergab sich nur noch eine kleine Schwierigkeit – wie nämlich die Einladungen zu bestellen seien. Zum Unglück zeigte es sich, daß keine der Musen die Namen der Sieben Weisen kannte. Einzelne hatten sie zwar in der Töchterschule gelernt, aber das war schon einige Jahre her, und man kann nicht alles behalten. Selbst Klio und Urania, welche doch das Seminar besucht und das Examen gemacht hatten, konnten sich nicht mehr mit Sicherheit erinnern. Da fiel Klio ein, daß sie einmal bei Tante Mnemosyne von einem Mnemotechniker einen Merkspruch gehört hatte, durch den man sich unweigerlich die Namen der Sieben Weisen behalten mußte. Ja, wenn sie nur den Merkspruch nicht vergessen hätte! Aber er stand ja in ihrem Notizbuche, da konnte sie ihn auffinden. Der Spruch lautete folgendermaßen:

„Solon steht mit einem Fuße auf Chili, mit dem andern auf Peru, sieht in ein Tal voll Klee und trinkt Bitter-Bier.“

„Wie geistreich!“ sagte Kalliope.

„Ja, ja“, bestätigte Polyhymnia, „die Mnemonik hat Geschmack, das muß man sagen, dafür wurde sie auch von meinem Liebling Simonides erfunden.“

„Aber wie heißen denn nun die Sieben Weisen?“ fragte die naive Erato.



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