Totensteige by Christine Lehmann

Totensteige by Christine Lehmann

Autor:Christine Lehmann [Lehmann, Christine]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-03-01T00:00:00+00:00


38

Um halb zwei landeten wir in Fuhlsbüttel. Eine Limousine mit Chauffeur brachte uns in die Elbchaussee. Ich kam mir vor wie aus dem Kino getappt. Endlich verkehrte man wieder auf der richtigen Straßenseite. Die Gedanken liefen wieder in der Spur. Und so ruhig war diese alte Stadt mit ihrem Wind in den Bäumen, den hellen Häusern, dem Hafengeruch. Die Villa Groschenkamp stand hinter einer Mauer elbseitig unter Bäumen der nachts durchaus nicht stillen Elbchaussee.

Der Hausherr erwartete uns in einem Salon mit Marmorsäulen und Stuck an der Decke, Gemälden von Miró, Dali und Max Ernst an den Wänden und tiefen Clubsesseln, Teetischen und einem Stutzflügel auf dem Teppich. Oiger Groschenkamp war ein fleischiger Alter mit randloser Brille und gepflegtem weißem Kinnbart. Er trug ein gestreiftes Hemd, Hosen und Jacke, die sich in nichts vom üblichen Rentnerschick unterschieden, außer dass Kenner wussten, dass sie das Zehnfache gekostet hatten. Er umarmte seine Tochter mit herzlicher Freude und wandte sich dann Richard und mir zu. Sein Blick war flink, sein Lächeln unangestrengt höflich. »Sie sehen weit gereist aus«, bemerkte er mit der leisen Stimme der Mächtigen. »Ich lasse Ihnen gleich einen Imbiss zubereiten.«

Derya schüttelte den Kopf. »Lass mal, Paps. Ich möchte eigentlich nur ins Bett.«

»Und Sie, meine Herren?«

Er konnte nicht anders. Die Narben in meinem Gesicht sorgten dafür, dass bei Zweifeln an meiner Geschlechtsidentität der Zeiger meist in Richtung Mann ausschlug. Ich sah keinen Grund, Groschenkamp zu korrigieren, Derya allerdings schon. »Paps, das ist Lisa Nerz«, sagte sie. »Eine Lokaljournalistin aus Stuttgart.«

»Angenehm«, sagte er. Ein lustiges und lüsternes Glitzern trat in die Augen des Alten. »Ich darf davon ausgehen, dass ich für meinen Irrtum nicht um Verzeihung bitten muss. Sie legen es darauf an.«

»Wie Sie meinen«, erwiderte ich.

»Der Hund ist stubenrein?«

»So alt ist er noch nicht, dass er inkontinent wäre«, antwortete ich.

Das lustige Glitzern verschwand aus den Augen des Alten, das lüsterne blieb.

»Und, Paps, das ist Dr. Richard Weber.«

»Sehr erfreut. Sie sind Staatsdiener, hat meine Tochter am Telefon angedeutet?«

Wie er den ›Staatsdiener‹ auf den Teppich spuckte, klang es ungefähr so herablassend wie Deryas ›Lokaljournalistin‹. Mit zwei Worten hatten sie unsere soziale Position in Relation zu den Marmorsäulen der Villa definiert. Ich verspürte das Zucken von Unterschichtstolz und kramte nach Arbeiterliedern. Dabei vergab der Mann, der sich einen Privatjet hielt, Kleinkredite ins Schanzenviertel, wie ich mich erinnerte, finanzierte Nähereien, Miniläden, Übersetzungsbüros und Kleinwerkstätten, übernahm soziale Verantwortung. Allerdings, wie er uns signalisierte, mit der Haltung des Gutsherrn.

Richard besaß mehr Erfahrung als ich im Umgang mit den Schwächen derer, die Geld zum gewichtigen Teil ihrer Identität gemacht hatten. Meistens lernte er sie als Kriminelle kennen. Das setzte ihn früher oder später in eine Position der Überlegenheit. Erst am Morgen hatte er mir erklärt, Oiger Groschenkamp sei die zentrale Figur im Kalteneck-Fall, die Spinne im Netz. Und gefährlich. Er tat jetzt gut daran, aus dem Spuck-Wort Staatsdiener keinen Staatsanwalt zu machen. Nur als Mann an der Seite von Groschenkamps Tochter war er hier geduldet.

Er lächelte also sein knappstes Lächeln und sagte: »Bitte erlauben Sie mir, Ihnen im Namen aller dafür zu danken, dass Sie uns mit Ihrem Jet zu Hilfe geeilt sind.



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