Tote Oma. Kriminalroman by Gabriele Wolff

Tote Oma. Kriminalroman by Gabriele Wolff

Autor:Gabriele Wolff [Wolff, Gabriele]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105607756
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-12-21T16:00:00+00:00


Das Eis sang unter seinen Füßen. Manchmal knackte es auch; dann zeichneten sich auf der stumpfen Oberfläche feine Linien ab. Mirko war alles egal. Nachdem er zu Hause so lange eingesperrt gewesen war, kein Mensch da, hatte er es nicht mehr ausgehalten. Am See würde er Kumpels treffen, da war er sich ganz sicher gewesen. Und er hatte tatsächlich Maik, Marco und Brian getroffen; sie hatten sich aber nicht auf den See getraut, der noch nicht freigegeben war. Nur Mirko hatte einfach die Schlittschuhe angezogen und das Eis betreten.

»Nun kommt schon, es passiert schon nichts!«

Dann war er losgefahren. Vorbei an den im Eis festliegenden Schiffen, einfach auf den See hinaus. Nicht ein einziges Mal hatte er sich umgeschaut. Er war ganz allein mitten auf dem See, und er hatte Lust, hinüber zum Café Waldfrieden zu gleiten oder gar bis in die Lanke hinein. Ein paar Möwen kreischten über ihm, als wollten sie ihn warnen. Mirko war viel kleiner und leichter als seine Schulkameraden. In seltenen Momenten wie diesen war das ein unschätzbarer Vorteil. Wenn er hier einbräche, würde keiner ihn retten können. Wenn ihm nichts passierte, war auch Mandy nichts Schlimmes geschehen. Er übte ein paar Achterschleifen. Wenn er seine eigene Spur dreimal genau in der Mitte kreuzte, würde alles wieder gut.

Sein Schlittschuh, den er seit dem letzten Winter nicht mehr geschliffen hatte, blieb an einem gefrorenen Schneeklumpen hängen, und Mirko fiel hin. Er schlitterte eine kurze Strecke auf dem Bauch, dann blieb er ganz ruhig liegen. Er kratzte die dünne Schneedecke von dem Eis und sah hinunter. Unter der durchsichtigen Eisschicht dunkelgrünes Wasser, das sich bewegte. Das Eis war nicht mal zehn Zentimeter dick. Plötzlich lähmte ihn eine ungeheure Angst. Aus großer Entfernung hörte er Schreie. Wie in Zeitlupe drehte er den Kopf. Drei kleine Figuren am Ufer, sie hüpften, wedelten mit den Armen, riefen irgend etwas. Sie waren so weit weg, daß er sie niemals würde erreichen können. Am besten blieb er hier liegen, ohne sich zu bewegen. Das Eis würde ihn tragen, bis er eingeschlafen war. Er drehte den Kopf zur Seite. Seine Wange lag auf der kalten Fläche. Zuerst brannte es, dann wurde sie taub. Er wußte nicht, wie lange er dort gelegen hatte, als ihm einfiel, daß Mandy ihn brauchen würde, und Mama …

Langsam stand er auf. Er hielt den Atem an. Seine Beine waren so wackelig wie nach einer überstandenen Kinderkrankheit. Er schaute nicht nach vorne, sondern nur nach unten. Immer, wenn es knirschte, strömte sein Blut heiß durch die Adern. So gleichmäßig wie möglich, mit ganz kleinen Schwüngen, bewegte er sich in Richtung Ufer. Seine Oberschenkelmuskeln verkrampften sich, seine Beine waren steif. Aus den Augenwinkeln sah er Enten und Bläßhühner, die rund um ein dampfendes Wasserloch saßen. Um diese Stelle schlug er einen großen Bogen. Auch von den Schiffen hielt er sich fern, er steuerte direkt das Ufer an, zu dem sich die Fischbänkenstraße sanft hinunterneigte. Das Wasser dort war flach.

Wenige Meter vom Ufer entfernt ging das Knirschen in ein knackendes Geräusch über.



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