Tom Wolf - Die Bestie im Turm by Tom Wolf

Tom Wolf - Die Bestie im Turm by Tom Wolf

Autor:Tom Wolf [Wolf, Tom]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863935153
Herausgeber: Europäische Verlagsanstalt
veröffentlicht: 2015-10-25T16:00:00+00:00


XIV

Die beiden Bürgermeister, die Herren Papen und Tilling, sowie Baader, Daniel und Gregor saßen in der Schänke des Sechsmannenhauses, schräg gegenüber vom Dom, mit Blick aufs Paradies, und ließen die Ereignisse noch einmal Revue passieren. Sie bemühten sich, eine Ordnung hineinzubringen oder eine Richtschnur für ihr weiteres Vorgehen auszuspannen.

»Er kann es natürlich aus Barmherzigkeit getan haben«, mutmaßte Daniel. »Sozusagen als Hilfestellung für einen Todgeweihten, dem es aus eigener Kraft nicht gelingen wollte, in den Kahn des Fährmannes zu steigen.«

»Sicher«, sagte Baader. »Ich traf ihn zumindest in sehr verfänglicher Stellung an: Er hielt das blutige Schwert erhoben, und unter ihm verröchelte der Sieche, dem er eigentlich die letzten Sakramente hätte erteilen sollen.«

»Ich teile Ihre Verwunderung. Ich weiß aber nicht, was mich so sicher sein lässt, dass er es nicht war. Ich äußere nur meine heftigsten Zweifel, dass er das Schwert führte. Er kam, als es gerade geschehen war. Ich kann mich entsinnen, dass mir, als ich mit meinem Gehilfen die Stiege erklomm, einer entgegenkam, der es sehr eilig hatte.«

Gregor lief es eiskalt den Rücken herunter – sie waren der Bestie begegnet! Das Herz begann ihm bis zum Hals zu schlagen: Er suchte nach einem Bild dieses Eiligen in seinem Kopf, doch alles, was ihm sein Gedächtnis zeigte, war eine schwarze Wollkutte – keine braune, wie sie die Spittelbrüder trugen, sondern eher eine Mönchskutte mit der Mozetta, dem kleinen, zum Schulterüberwurf verkürzten Mantel –, kein Gesicht, nur eine Kapuze, und tiefstes Schwarz, wo das Gesicht hätte sein sollen. Der Mann musste schrecklich geschwitzt haben, doch zur Verhüllung seiner Identität war diese Tracht vorzüglich.

»Ich werde mir von Reddig einmal eine Liste mit den kurzgefassten Lebensläufen aller Opfer zusammenstellen lassen«, sagte Weidemann.

»Das ist ein guter Einfall«, pflichtete ihm Daniel bei. »Vielleicht lässt sich daraus etwas ersehen.« Er zog die Stirn kraus, und Gregor spitzte die Ohren, um ja kein Wort zu verpassen. »Wissen Sie, ob das Kupferstück, das wir bei Achtermann gefunden haben, schon länger aus der Ratssammlung fehlt?«

Weidemann wiegte den Kopf. »Ich glaube nicht, aber wir müssen nachsehen. Was immer Sie daraus auch abzuleiten gedenken.«

»Es ist eine wachsende Aufgabe für die Vernunft. Aber mir will scheinen, dass mit jedem künftigen Mord die Lösung leichter werde.«

»Dann sollten wir für weitere Leichen dankbar sein …«

Das waren Baaders Worte. Die Bürgermeister sahen ihn wortlos an, und dachten sich ihren Teil, ebenso Tilling und Papen.

Daniel indessen sagte mit leicht gereiztem Unterton, während er sich bemühte, möglichst teilnahmslos in sein Glas zu starren: »Sie müssen verzeihen, doch es ist eigenartig, dies aus Ihrem Mund zu hören. Sie haben bisher den meisten Gewinn aus den Morden gezogen, wenn ich die Summa betrachte: vier Leichname, vier Studienobjekte für Ihre unstillbare anatomische Neugier. Es stimmt doch, dass Sie den halbierten Raschen, aber auch Walberg und Achtermann seziert haben …«

Der Chirurgus lächelte und erhob feierlich sein Glas. Er sprach:

»Ehre sei Gott in der Höhe, dass er uns Leben und Geist von seinem Geiste gab! Ich gelobe feierlich, dass ich mein Werk stets als Dienst am Menschen sehe und keine Handlung vornehme, die dazu angetan wäre, Gott zu erzürnen!«

»Darauf können wir alle anstoßen«, sagte Weidemann.



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