Tod in Lissabon by Robert Wilson

Tod in Lissabon by Robert Wilson

Autor:Robert Wilson [Wilson, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-07-08T00:00:00+00:00


»Absinth zerfrisst das Gehirn«, sagte Abrantes. Abrantes, der im Hochgefühl seines Erfolgs in der Geschäftswelt von Lissabon neuerdings alles wusste. Felsen nippte wieder an der grünen Flüssigkeit in seinem Glas und betrachtete die Kolonnen von Regenschirmen auf der vom Regen gepeitschten Straße. Es war zehn Uhr morgens und der zweite Absinth des Tages. Felsen tastete seinen Kopf ab und fragte sich, wo der Fäulnisprozess seinen Anfang nehmen würde und warum Abrantes ihn vor dem Mittagessen aus seiner Wohnung gezerrt hatte.

Felsen war seit zwei Wochen aus Afrika zurück, wo er den größten Teil des vergangenen Jahrzehnts damit zugebracht hatte, Zweigstellen der Bank in Luanda, Angola und in Lourenço Marques, Mosambik, zu errichten. Wie immer, wenn er seinen Fuß zurück aufs europäische Festland mit all seiner historischen Last setzte, war er deprimiert.

Berlin war von den Roten isoliert worden, in der Mitte Europas verrostete der Eiserne Vorhang, und mit den Verrückten Franco und Salazar am Ruder, die noch immer die alte faschistische Flagge hissten, war die gesamte Iberische Halbinsel praktisch abgeschnitten. Die großen Imperien zerfielen. Die Briten hatten Indien verloren, die Franzosen hatten sich nach der Demütigung von Diên Bien Phu im Mai vergangenen Jahres aus Indochina zurückgezogen und waren dabei, Marokko und Tunesien zu verlieren. Der Weltmachtstatus ging an die Amerikaner über, während die Europäer sich vom Krieg demoralisiert in einem letzten verzweifelten Ringen mit rissigen und blutigen Nägeln an vergangene Größe klammerten und über ihre Nationen grübelten.

Für Felsen verströmte der ganze Kontinent den Pesthauch des Todes, den fauligen Geruch des Niedergangs, und um sich gegen diesen Gestank zu immunisieren, goss er sich zu seinem zweiten Kaffee bereits einen Schluck grünen Absinth ins Glas.

Nach dem Krieg waren die Alliierten in Portugal einmarschiert, und die Amerikaner hatten sich häuslich in dem alten palácio der deutschen Gesandtschaft in Lapa eingerichtet. Doch Felsen und Abrantes hatten Glück gehabt. Ihre Wolfram-Minen wurden versiegelt, als Wolfram kaum noch etwas wert war. Man beschlagnahmte ihre Vorräte an Kork, Olivenöl und Sardinen mit der Begründung, die Waren seien für die Deutschen bestimmt gewesen. Doch die Bank mit ihren verworrenen Eigentümerverhältnissen hatte mehrere Anläufe der von den Alliierten geschickten Männer in den dunklen Anzügen überstanden, die Vermögenswerte einfrieren zu lassen. Abrantes’ Beziehungen zur Salazar-Regierung hatten sie gerettet. Nach Kriegsende erlebte die Bauindustrie in Portugal einen plötzlichen Aufschwung, Abrantes war zur Stelle und saß mit am Tisch. Er wusste zwar nichts über Häuser, aber alles über windige Finanzgeschäfte. Beamte des Ministeriums für Öffentliche Aufgaben erhielten Grundstücke und bekamen Häuser gebaut, ihren Söhnen wurden Positionen zugeschanzt, die sie nicht verdient hatten, Planer, städtische Architekten im Rathaus von Lissabon und selbst der Bürgermeister stellten fest, dass sie sich ihr Leben jetzt viel besser leisten konnten als vorher. Die Banco de Oceano e Rocha gründete eine Immobiliengesellschaft, eine Baufirma, schob Freunden Grundstücke zu und erhielt im Gegenzug Protektion von höchsten Regierungsstellen.

Und das Gold war immer noch da. Es lag zehn Meter unter Felsens Füßen in den Kellertresoren, über die der Verkehr der Rua do Ouro hinwegdonnerte.

Abrantes trank gerade sein drittes Tässchen heißen Tee, was



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