Tod in Bayreuth by Buehler

Autor:Buehler
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-01-31T05:00:00+00:00

NEUN

Azar Alt stellte Emma ihren abendlichen Besucher vor: Daniel Kress, ein alter Bekannter. Erst vor Kurzem hatte er die Berufungskommission von sich überzeugen können und war einstimmig auf Platz eins für die neue Professur bei den Musikwissenschaftlern gewählt worden. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er die Stelle in Bayreuth antreten würde.

Obwohl Kress älter als Martin war, erinnerte er Emma an ihren Ex-Mann. Hochgewachsen und sympathisch lächelnd stand er vor einer Fotografie, die Alt in der Heimat ihrer Eltern aufgenommen hatte. Kress’ Gesichtszüge waren denen der abgebildeten Personen gar nicht so unähnlich. Er hatte eine Pizza von der Größe eines Wagenrads mitgebracht, die verführerisch nach zerlaufenem Käse und Thymian roch.

Emma lief das Wasser im Mund zusammen. Seit dem Frühstück hatte sie nichts Richtiges mehr gegessen. Höflichkeitshalber machte sie trotzdem Anstalten zu gehen. Es war offensichtlich, dass Kress erwartet worden war.

»Kommt nicht in Frage«, sagte Alt und drückte ihr den Pizzaschneider in die Hand. »Wir sind noch nicht fertig mit der Arbeit. Nach der Pause geht’s weiter. Es ist genug zu essen da.«

Sie deckte den Tisch und holte Wein aus dem Keller.

Emma ließ sich gern überreden. Sie half, die Pizza auf den Teller zu schieben, und zerteilte sie in gleichmäßig große Segmente. Zum Essen gab es reichlich Rotwein und jede Menge unglaublicher Geschichten, die Daniel Kress aus der Musikszene zu erzählen wusste.

Für die beiden Wissenschaftler schien es kaum ein anderes Thema zu geben. Musik war ihr Schlüssel zum Verständnis der Welt, ihr Zugang zur Geschichte und ihre Verbindung untereinander. Kress berichtete von der neuen Vielfalt der Indie-Rockgruppen in Oberfranken, die sich mit ihren jungen Talenten der Kommerzialisierung entzogen und in elterlichen Wohnzimmern originelle Auftrittsstile ins Leben riefen. Außerdem schossen Doom-Metal-Bands mit betont düsterer Musik aus dem fränkischen Boden. Die langsamen, nur im Zeitlupentempo veränderten Gitarrenriffs riefen verzerrte Tieffrequenztöne hervor, die im Stande waren, jugendliche Aggressionen wie Gehirnwellen und Körperfunktionen bis zum Nirwana herunterzufahren. Alt und Kress stellten fest, dass es diesen jugendlichen Musikexperimenten sehr viel besser gelang, Zuhörer zu fesseln, als etwa den zeitgenössischen Klassikern wie Schönberg oder Stockhausen, deren Publikum kaum mehr als die ersten Parkettreihen füllte. Sie waren das Spezialgebiet des Kollegen Ansporn, und Professorin Alt nahm die Gelegenheit wahr, diesen Mangel an öffentlichem Interesse in aller Breite herauszustreichen.

Dem Gespräch entnahm Emma, dass jeder Hochschullehrer ein Spezialgebiet abdeckte, das gleichsam ihm allein gehörte. Alt unterrichtete epochenübergreifend Musiktheater, Daniel Kress war wie sein Amtsvorgänger ein Spezialist für Kirchenmusik, und Alois Ansporns Schwerpunkt lag auf Orchestermusik. Die Positionen für Musikethnologie und Systematische Musikwissenschaft waren seit Jahren unbesetzt, was jedoch nicht allein an den Sparmaßnahmen seitens der Universitätsverwaltung lag. Die Professoren hatten sich schlicht nicht auf eine passende Besetzung einigen können, weil es weniger um die Qualifikation der Kandidaten als um die Stärkung eigener Interessen ging. Die Einigung auf Daniel Kress war eine Ausnahme gewesen. Ihr war die Nominierung von Alois Ansporn zum Dekan des Fachbereichs vorausgegangen. Zur Freude von Alt steckte er seitdem weniger Energie in die Institutspolitik.

Kress deutete auf seine Armbanduhr. Es war schon spät, und er war neugierig auf die Fotos von den Tatorten.

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