Theatergeschichte by Andreas Kotte
Autor:Andreas Kotte [Kotte, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Theater, Theatergeschichte von der Antike bis heute, Theaterwissenschaft
Herausgeber: UTB, Stuttgart
veröffentlicht: 2013-11-18T23:00:00+00:00
4.3.4 Die klassizistische Tragödie
Der Jesuitenschüler Pierre Corneille avanciert 1624 in Rouen zum Advokaten und kauft 1629 zwei juristische Ämter mit hohem Einkommen. Er schreibt in den folgenden Jahren seine 33 Komödien und Tragödien. Le Cid wird 1637 ein erster großer Erfolg. Weil er aus der Gelehrtenriege stammt – den Italienern und den französischen Farceuren hingegen muss man vergeben: sie können nicht anders – flammt Neid auf. [<< 228] Die Académie Française rügt die Nichteinhaltung der drei Einheiten. Der Verfasser fügt sich, bearbeitet das Stück. Dafür wird er 1647 selbst Akademiemitglied, und Le Cid erlebt zahlreiche Vorstellungen. Pierre Corneille liefert Werke auf anspruchsvoller literarischer Grundlage, ihm folgt Jean Racine, dessen Lieblingsschauspielerin Marie Champmeslé zwischen 1670 und 1679 – bevor die Italiener dorthin zurückkehren – als Primadonna das Hôtel de Bourgogne beherrscht. Für die klassizistische Tragödie, die ihre Stoffe in der Bibel, der griechischen Mythologie oder der römischen und orientalischen Geschichte findet, die französische Vergangenheit und Gegenwart jedoch komplett ausspart, werden die sogenannten Regeln des Aristoteles seit Jean Mairet zum Prüfstein und Streitpunkt. Kardinal Richelieu versucht, durch fünf von ihm berufene Dramatiker, darunter Pierre Corneille, eine allgemeingültige Dramaturgie entwickeln zu lassen, die dann den Dramatikern als Richtschnur dienen soll. Abhandlungen wie La Pratique du Théâtre von François Hédelin, des Abbé d’Aubignac, widmen Zeit und Ort des Dramas eingehende Erörterungen. Die Reformwünsche des Abbé gehen jedoch weit über die Respektierung der drei Einheiten hinaus.49 Auch wenn sie so nicht verwirklicht werden, zeigen sie doch die wesentliche Reformtendenz auf, indem sie auf die Reduzierung der koexistierenden Theaterformen zielen und damit auf das Theater. Es soll durch die Schaffung des Amtes eines königlichen Staatsdramaturgen künstlich hergestellt werden. Das Theater sieht schon 1657 für die Italiener keinen Platz mehr vor.
Einige Reformvorschläge des Abbé d’Aubignac aus dem Anhang von La Pratique du Théâtre, Paris 1657: Projet pour le rétablissement du Théâtre français.
„Um alle diese Mißstände zu beseitigen, ist es vor allem notwendig, dass der König eine Erklärung abgibt, die besagt, dass Theatervorstellungen sich wieder im Rahmen der Ehrbarkeit halten und Schauspieler nicht mehr ausschweifend und anstößig leben. […] S. M. ernenne eine redliche und fähige Persönlichkeit zum Direktor, Intendanten oder Großmeister der Theater und öffentlichen Spiele in Frankreich. Der Intendant trage Sorge, geeignete Schauspieler in den Kollegien und bei den in den Provinzen wandernden Truppen zu suchen, und veranlasse sie, Aufführungen, Rezitationen, Gefühlsausdruck zu studieren, damit man nur Vollendetes zu sehen bekommt. Deshalb werde in eine Truppe nur aufgenommen, wer ein Diplom des Königs besitzt, das ihm auf Grund eines vom Intendanten nach dessen Urteilsbildung ausgestellten Zertifikats über seine Befähigung und Rechtschaffenheit gewährt wird. Bereits durch das Niveau und die große Zahl ihrer Dichtungen ausgewiesene Autoren seien [<< 229] lediglich gehalten, ihre Stücke dem Intendanten zur Prüfung der Ehrbarkeit und Wohlanständigkeit vorzulegen, indem alles andere das Risiko ihrer öffentlichen Geltung bleibe.
Die Stücke neuer Dichter seien von dem Intendanten zu begutachten und nach seinen Anweisungen zu überarbeiten. Die Dekorationen sollten unter Aufsicht des Intendanten mit Hinzuziehung geschickter Leute aus öffentlichen Mitteln und nicht auf Kosten der Schauspieler angefertigt werden.
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