Teddy oder wie ich lernte, die Menschen zu verstehen by Cid Jonas Gutenrath

Autor:Cid Jonas Gutenrath
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2015-03-10T16:00:00+00:00

Meine Holde

Der Nachrichtensprecher hat heute in der Hitze der nachmittäglichen Rushhour im Autoradio gesagt, es sei ab Mitternacht mit einem Sternschnuppenhagel zu rechnen. Also sitzt mein Junge im Liegestuhl in der Dunkelheit des Gartens, mit dem dritten Bier in seiner Hand, von mir bewacht, starrt in den Himmel und wartet. Wartet auf den einen Sternenschweif am Firmament, der ihm in seinem kindlichen Gemüt die Chance zu einem Wunsch gewährt.

Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Sein Herz ist komplett vergeben! Schon seit langer Zeit. Aber der Platz in seinem Inneren, jene kleine Schmuckschatulle, in der er Menschen aufbewahrt, die ihn berühren und bewegen, die ihm Achtung und Respekt abringen, leert sich, statt sich zu füllen. Nicht einmal Vater und Mutter sind darin zu finden. Das macht mir Sorgen. Große Sorgen. Umso mehr freue ich mich über jedes einzelne Lebewesen, das seinen Weg kreuzt und ihn daran erinnert, dass am Ende vielleicht doch das Gute bleibt und Schönheit all die Hässlichkeit besiegt. Von einem solchen Lebewesen möchte ich hier berichten.

Eigentlich sollte diese Geschichte den Titel »Die Amazone« tragen, doch das wird ihr nicht gerecht. Sicher, sie ist meines Wissens die erste und einzige Polizistin, die er vorbehaltlos im Schlachtgetümmel an seiner Seite akzeptiert. Das liegt aber wohl weit weniger daran, dass der kleine Mensch in Selbstverteidigung und mit Spezialschlagstock ausgesprochen versiert ist und innerhalb der Firma als Ausbilderin auf diesem Gebiet fungiert, als vielmehr an der Tatsache, dass diese Frau und Mutter ebenfalls Rettungssanitäter ist. Eine Rettungssanitäterin, die, wie ich ihn gerne sagen höre, ihn auch dann noch medizinisch versorgen würde, wenn neben ihr Steine und Flaschen aufschlagen. Das macht sie beinahe zu einem Familienmitglied, denn sie würde, egal unter welchen Umständen, da bin ich mir sicher, darum kämpfen, seinen Kindern den Vater zu erhalten.

Auch ihr Äußeres ließe sich mit dem Klischee der Kriegerinnen, die sich die Brust wegbrannten, um Pfeil und Bogen besser einsetzen zu können, kaum in Einklang bringen. Zu viel Weiblichkeit hat sie sich dafür erhalten. Wenn man von einem stets ernsten Blick und häufigen Sorgenfalten auf ihrer Stirn mal absieht. Allerdings vergleicht er ihr Profil auch oft und gern, nicht zuletzt aufgrund von Frisur und Hautfarbe, mit dem einer stolzen Indianerin. Doch das ist alles gar nicht so wichtig. Denn gleichgültig ob schwarz, weiß oder grün, lang, kurz, männlich oder weiblich, die Taten, Gesten und damit gelebte Werte verleihen einem Menschen jene Größe, die in den Erinnerungen und Herzen bleibt. Für immer.

Wenn sie den Wolf, den sie ihren Partner nennt und der kaum zwanzig Kilo weniger wiegt als sie selbst, stets behutsam in seine Transportbox hebt, schaut Lennox – das ist sein Name – oft zu mir herüber. Und ich weiß genau, was dieser Blick bedeutet. »Sieh her, was für eine starke Person ich aus ihr gemacht habe! Auch wenn ich jetzt alt und krank bin, ich kann sie bald verlassen. So weit bist du noch lange nicht.« Und recht hat er, der alte Mann.

Als sie vor Jahren, ausgerechnet von einem anderen Teammitglied, so schlimm gebissen und verletzt wurde,

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