Tarzan am Main by Wilhelm Genazino

Tarzan am Main by Wilhelm Genazino

Autor:Wilhelm Genazino
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2012-03-23T04:00:00+00:00


Menschen, die ohne Zubehör unterwegs sind, kann man sich heute kaum noch vorstellen. In früheren Jahren war ein Schirm oder ein Spazierstock das Äußerste, was eine Einzelperson mit sich führte. Heute hat sich das Angebot von Begleitgeräten erheblich erweitert. Zwischen den Hochhäusern der Banken und Versicherungen sieht man junge Angestellte, die auf Rollern zwischen den Bürotürmen verkehren. Andere sind zwar zu Fuß, aber sie mögen ihre Wege nicht ohne Radio, ohne Computer oder ohne iPad zurücklegen. Wieder andere haben sich Kopfhörer über das Haupt gespannt, weil sie ohne Musikanreicherung nicht mehr leben mögen. Es sei denn, in der Hosentasche macht der schrille Ton ihres Handys auf sich aufmerksam. Ganz zu schweigen von den Rucksackträgern. Wer ferne Berge erklettert oder dunkle Wälder durchquert, hat für einen Rucksack natürlich gute Gründe. Aber warum laufen so viele Menschen mit prall gefüllten Rucksäcken durch die Großstädte? Noch viel sonderbarer sind Menschen mit leeren Rucksäcken. Platt wie Pfannkuchen liegen die unteren Enden der Rucksäcke auf dem Po ihrer Träger auf. Es gehört eine gewisse Peinlichkeitsresistenz dazu, die Schrägheit der eigenen Erscheinung zu ignorieren. Es gibt sogar Menschen, die mit zwei prall gefüllten Rucksäcken auf Tour sind. Ein Rucksack hängt über dem Bauch, der andere auf dem Rücken. Man weiß längst: Alles kann zur Sucht werden, sogar der Rucksack. Umso dringlicher frage ich mich: Was tragen diese Menschen immerzu mit sich herum? Vor kurzem hat mir ein Zufall weitergeholfen. In einem Supermarkt sah ich einen kleinen, etwas aufgeschwemmten Mann mit zwei Rucksäcken. Er ging schnurstracks zur Leergut-Annahme, stellte dort beide Rucksäcke auf den Boden und räumte sie Stück für Stück aus. Es handelte sich um leere Bierflaschen. Die Rucksäcke waren so fest gepackt, dass während des Tragens nicht einmal das Klackern der Flaschen zu hören war. Hier tarnte sich ein empfindsamer Alkoholiker als Wanderer. Es gab keinen Zweifel: Der Mann hatte das typisch trübe, graugrüne Gesicht eines Dauertrinkers, der das ordentliche Leben eines Süchtigen führte. Er packte fünfzehn neue, das heißt volle Flaschen Bier (vermutlich konnte er mehr auf einmal nicht tragen) in seinen Rucksack. Er zahlte an der Kasse (er kaufte, ohne seinen Einkauf zeigen zu müssen), verließ unauffällig den Supermarkt, fast geräuschlos, weil er auch jetzt verhindern wollte, dass die vollen Flaschen gegeneinanderstießen.



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