Tannenbergs letzter Fall by Bernd Franzinger
Autor:Bernd Franzinger
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2016-05-25T00:00:00+00:00
15. Kapitel
Tannenberg hing schlaff wie ein nasses Handtuch über der Sandsteinbrüstung des Humbergturms. Minutenlang wurde er von extremen Stimmungsschwankungen gemartert, überlegte hin und her, was er nun tun sollte. Er war kurz davor, in die Tiefe zu springen und seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch dann tauchte plötzlich vor seinem geistigen Auge das hämisch grinsende Gesicht des Oberstaatsanwaltes auf. Sein Anblick wirkte wie ein Aufputschmittel.
Tannenberg fletschte die Zähne und verlagerte sein Gewicht auf die sichere Seite. »Von diesem verfluchten Hohl-Hohl-Hollerbach lass ich mich doch nicht aufs Abstellgleis schieben. Ich nicht! Von dem Depp nicht!«, schnaubte er wütend. »So weit kämâs noch!«
AuÃerdem muss ich mich um Mutter kümmern. Die kann ich doch jetzt nicht im Stich lassen!, schob er tonlos nach.
Ein letzter Blick in den Abgrund hinunter zu den äsenden Rehen, dann schwang er sein rechtes Bein über die Brüstung zurück auf die Aussichtsplattform.
»Mann, Wolf, was bist du doch für ein blöder Idiot!«, beschimpfte er sich selbst, während seine Handflächen mehrmals auf die Wangen klatschten. Die stechenden Schmerzen belebten ihn noch mehr.
»Und was ist mit Heiner, mit Marieke, mit Vater â und was ist mit der süÃen Emma und dem süÃen Paul? Die brauchen mich schlieÃlich auch noch. Und ich brauche sie! AuÃerdem muss ich mir diesen Drecksack schnappen, der Hanne auf dem Gewissen hat. Und das, bevor er noch mehr Unheil anrichten kann.«
Mit wiedererstarktem, unbändigem Lebenswillen trippelte er die 163 Stufen hinunter zum FuÃe des Humbergturms. Die beiden Rehe hoben die Köpfe und schauten in seine Richtung, doch sie flüchteten nicht.
»Ja, was ist denn mit euch los?«, schnauzte er die Tiere an. »Wo kommen wir denn hin, wenn das Wild keine Angst mehr vor den Menschen hat?«
Der suspendierte Leiter des K 1 legte die Fingerkuppen auf die Lippen und pfiff gellend.
»Na, endlich funktioniert euer Fluchtreflex und ihr zeigt mir eure wunderschönen weiÃen Hinterteile«, rief Tannenberg den Rehen, die bereits in einer Fichtendickung verschwunden waren, hinterher.
Wolfram Tannenberg marschierte so stramm durch den Wald und das südliche Stadtgebiet, dass er bereits kurz vor 7 Uhr am Pfaffplatz eintraf, wo sich in einem schmucklosen Funktionsgebäude seine Dienststelle befand.
Der uniformierte Beamte, der in einer verglasten Eingangspforte den Zugang zur Kriminalinspektion Westpfalz überwachte, staunte nicht schlecht, als er den notorischen Morgenmuffel Tannenberg zu dieser frühen Stunde erblickte. Normalerweise betrat der Leiter des K 1 nicht vor 8.30 Uhr die Kriminalinspektion.
»Was willst du denn hier? Ich dachte, du bist suspendiert«, sagte Tannenbergs konsternierter Kollege ohne BegrüÃung.
»Quatsch, Willy«, zischte Tannenberg zurück und winkte ab. »Das war nichts als eine leere Drohung von Hollerbach«, schwindelte er. Mit einem schelmischen Augenzwinkern fügte er hinzu: »Ohne mich und meine grandiose Ermittlungskompetenz wärt ihr hier doch alle aufgeschmissen. Los, mach die Tür auf«, forderte Tannenberg mit Nachdruck. »Du willst doch auch, dass wir dieses elende Dreckschwein, das meine Hanne auf dem Gewissen hat, so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen, oder?«
Der Portier setzte eine betroffene Miene auf. »Natürlich will ich das«, sagte er mit gepresster Stimme. Er räusperte sich verlegen. »Ãbrigens: mein aufrichtiges Beileid, Wolf.« Danach betätigte er endlich den elektrischen Türöffner.
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