Tage des Sturms (Berlin-Trilogie 1) by Iny Lorentz

Tage des Sturms (Berlin-Trilogie 1) by Iny Lorentz

Autor:Iny Lorentz [Lorentz, Iny]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Historische Romane
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2018-03-25T22:00:00+00:00


5.

Friedrich Hartung hatte den ganzen Tag überlegt, ob er seinen Freund Adolar tatsächlich zu Madame Mahlmanns Etablissement begleiten sollte. Es gefiel ihm zwar, sich gelegentlich dort ein Mädchen auszusuchen, aber eine gewisse Selbstbeherrschung konnte ihm nicht schaden. Außerdem kamen ihm immer wieder die Reden in den Sinn, die er am Tiergarten gehört hatte.

Als er gegen Abend das Kontor seines Vaters betrat, um diesem Bericht zu erstatten, drängte sich dieser Gedanke wieder auf. »Verzeihen Sie, Herr Vater, darf ich Sie etwas fragen?«

Theodor Hartung blickte erstaunt auf. »Du kannst mich jederzeit etwas fragen, mein Sohn.«

»Wissen Sie, wie unsere Arbeiter leben?«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich frage nicht zuletzt wegen des Aufruhrs im Frühjahr, als das Militär gegen Menschen eingesetzt wurde, die nach Brot riefen.« Friedrich schwitzte, denn sein Vater hatte diese Unruhen streng verurteilt. Danach zu fragen kam ihm beinahe wie eine Rebellion vor.

Theodor Hartung zögerte mit der Antwort und musterte seinen Sohn durchdringend. »Du hörst mir zu viel diesen Schreiern in den Zelten zu, mein Sohn. Eine Verfassung zu fordern, die die absolute Macht des Königs beschränkt, darüber kann man vielleicht noch reden. Viele dieser Leute begeistern sich jedoch an den Reden und Schriften des Herrn Marx.«

»Den kenne ich nicht«, bekannte Friedrich.

»Das ist auch gut so! Ich will nicht erfahren müssen, dass du mit diesem Mann verkehrst. Er ist ein Brandstifter sondergleichen und verlangt, die Fabriken den Arbeitern und die Landgüter den Knechten zu übereignen. Damit aber würde die göttliche Ordnung zerstört, und die Folge wäre ein Chaos, das du dir nicht vorstellen kannst. Zudem glaube ich, dass die Anhänger des Herrn Marx vor allem eines wollen, nämlich die Macht über die Fabriken und Landgüter, sprich: sich selbst an deren Stelle zu setzen.«

Theodor Hartung verstummte kurz, stand auf und legte den Arm um seinen Sohn. »Es ist eine Schande, wenn Menschen hungern müssen, weil ihr Lohn nicht ausreicht, um sich und die Ihren zu ernähren. Hier muss etwas geschehen. Ein hungriger Mann kann nicht so zupacken wie ein satter, und es ist ein Unding, wenn ein Arbeiter jeden Tag zwei, drei, ja sogar vier Meilen weit laufen muss, um seine Arbeitsstelle zu erreichen. Da ist er bereits erschöpft, bevor er den ersten Handschlag tut. Es steht schon in der Bibel, mein Sohn: Man soll den Ochsen, der einem das Korn drischt, nicht das Maul verbinden. Ein Arbeiter muss mit Freude an seine Arbeit gehen und mit Dankbarkeit an seinen Patron denken. Nur so bringt er die Leistung, die von ihm erwartet werden kann. Ein Fabrikant, der nicht auf die Menschen schaut, sondern nur an seinen Profit denkt, ist nicht nur ein Narr, sondern handelt auch gegen Gottes Gebot.«

»Das ist ein wahres Wort, Herr Vater!«, erwiderte Friedrich erleichtert, weil sein Vater in diesem Punkt so dachte wie er.

»Ich freue mich, dass du das verstehst, mein Sohn. Du musst auch danach handeln, wenn ich einmal nicht mehr bin. Außerdem werden wir beide bald viel Arbeit haben. Unsere Lage hier in Berlin ist zu beengt, und so habe ich mir überlegt, draußen vor der Stadt eine neue Fabrik zu errichten.



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