Strafverfolgung in Wirtschaftsstrafsachen by Strukturen und Motive
Autor:Strukturen und Motive
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: de Gruyter
veröffentlicht: 2015-06-15T00:00:00+00:00
II.Grenzen des Informationsmodells im Anlegerschutz196
Der gesetzliche Anlegerschutz fuÃt auf der Prämisse, dass Anleger interessengerecht entscheiden, sofern sie mit den notwendigen Informationen ausgestattet werden. Empirische Arbeiten legen jedoch nahe, dass Anleger vorvertragliche Informationen zu Produkt und Beratungsmerkmalen ignorieren oder nicht zweckgerecht verarbeiten. Vielversprechender erscheinen nachvertragliche, anlegerindividuelle Datenpunkte zum tatsächlich erzielten Gesamtergebnis auf Portfolioebene. Solche am Anlegerverständnis und -nutzen ausgerichteten Informationen (smart disclosure) sollen kundenseitig Lerneffekte und wettbe- werbsseitig eine Orientierung am messbaren Kundennutzen befördern.
Eine wenig beachtete Besonderheit der Anlageberatung ist, dass es für Anbieter und Kunde mehr zu verteilen gibt, wenn sie kooperieren. Anders als beim Verkauf von Konsumgütern, wo Vorteile und Nutzen zwischen Produzent und Konsument mittels Preisfestsetzung lediglich verteilt werden, gilt bei der Anlageberatung, dass bessere Anlageentscheidungen mittels Risiko- und Liquiditätssteuerung die zu verteilenden Vorteile positiv beeinflussen. Es wird gemeinsam produziert. Auf Anbieterseite muss für ein optimales Ergebnis der Berater kompetent, die Systemunterstützung intelligent und die Produktauswahl hochwertig sein. Auf der Nachfrageseite muss der Kunde jedoch auch ein Grundverständnis von Rendite und Risiko mitbringen, die benötigten Informationen auch bereitstellen wollen, und sinnvolle Beratungsempfehlungen tatsächlich umsetzen. Zudem brauchen beide Seiten gemeinsam eine Ãbereinkunft, was die Beratung leisten soll, und sie müssen kritisch überprüfen, ob das Leistungsversprechen eingehalten wurde. Anlegerschutz, der auf Anlegernutzen abzielt, muss daher alle drei Dimensionen â Bringschuld der Finanzinstitution, Holschuld der Kunden und schlieÃlich Transparenz bei der Einhaltung des Leistungsversprechens â berücksichtigen.
Der gesetzliche Anlegerschutz in Deutschland hat sich bislang vor allem auf die erste Dimension konzentriert. Die zumindest anekdotisch vorliegende Evidenz legt nahe, dass die Konzentration auf die Bringschuld der Anbieterseite nicht hinreichend für mehr Anlegernutzen ist und dass die anderen beiden Dimensionen deutlicher berücksichtig werden müssen. Nach einem Ãberblick über die einschlägige Empirie zum Anlegerverhalten und zur Rolle der Beratung in Deutschland wird der aktuelle Stand im gesetzlichen Anlegerschutz zusam- mengefasst und zwei neue MaÃnahmen zur Verbesserung des Anlegernutzens zur Diskussion gestellt.197 Diese MaÃnahmen erweitern das konventionelle, produktorientierte Informationsmodell um individualisierte und computerlesbare Datenpunkte auf Gesamtanlageebene. Hierfür bedarf es keiner zusätzlichen gesetzgeberischen Eingriffe, sondern lediglich der Vorgabe von Informationsstandards, die eine Vergleichbarkeit der Datenpunkte im Zeitablauf und über verschiedene Anbieter hinweg gewährleisten.
III.Empirische Evidenz zum Anlegerverhalten
Forscher am Frankfurter House of Finance haben über die letzten Jahre eine Reihe von Datensätzen zu den Transaktionen und Depotbeständen von privaten Anlegern in Deutschland gesammelt. Mehrere hunderttausend Datenpunkte für Kunden verschiedenster Filialbanken und Online-Broker sind dabei zusammen gekommen. Abbildung 1 illustriert einen solchen Datensatz. Hierfür wurden 3400 Kunden eines deutschen Online-Brokers ausgewählt, die seit mehr als zehn Jahren ein aktives Depot unterhielten. Für jedes Depot wurden Tagesrenditen nach sämtlichen Kosten berechnet und in jährliche Depotrenditen und jährliche Wertschwankungen aggregiert. Jeder Punkt in Abbildung 1 spiegelt damit das durchschnittliche finanzielle Ergebnis nach Kosten und vor Steuern eines Anlegers wider, wobei sich angesichts des langen Beobachtungszeitraums Glück und Pech weitgehend egalisieren sollten und systematische Ergebnisstrukturen zum Vorschein kommen sollten. Jene Kunden nahmen über den gesamten Zeitraum keine Beratung in Anspruch, sondern entschieden eigenständig über ihre Anlagen.
Es fällt auf, dass die Ergebnisse stark streuen, dass also Privatanleger deutlich unterschiedliche Anlagestrategien verfolgten. Bei gleichem Risiko liegen viele Anleger häufig mehr als zehn Prozentpunkte pro Jahr auseinander.
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