Stiller und die Finsternis by Freudenberger Peter

Stiller und die Finsternis by Freudenberger Peter

Autor:Freudenberger, Peter
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863586867
Herausgeber: Emons
veröffentlicht: 2017-02-28T00:00:00+00:00


5

Stiller wusste, es gab die merkwürdigsten Zufälle. Keine Idee war skurril genug, um nicht von der Wirklichkeit eingeholt zu werden, das hatten ihn einundzwanzig Berufsjahre im Journalismus gelehrt. Aber als er an diesem Mittwoch aufgestanden war, um sich unter der Dusche den Schlaf aus den Poren zu reiben, hätte er sich das nicht träumen lassen: So etwas Banales wie eine Currywurst sollte ihn einen entscheidenden Schritt weiterbringen.

Er hatte sich mittags mit Ruth in der »Bar del Corso« treffen wollen, aber sie musste an der Schule zwei Stunden anhängen, um für eine erkrankte Kollegin einzuspringen. Stattdessen verabredete er sich mit Kleinschnitz auf dem Mittwochsmarkt.

Sie holten sich am Stand vom Würst'l Maier eine Rindswurst mit hausgemachter Currysoße, einer zähen, aber würzigen Masse, Motto: Nicht anschauen, genießen! Das war die einzige Schnellimbisskonkurrenz, die Kleinschnitz neben amerikanischem Fast Food duldete. Sie bahnten sich einen Weg durch die Menschenmenge in den sonnigen Gassen zwischen den Marktbuden und stellten sich an die Balustrade der Schlossmauer.

Die Sonne schien, die Luft summte, man konnte die Knospen der Bäume fast aufplatzen hören. Die Trauerweiden am Main trugen ein fröhliches Grün, dahinter strömte der Fluss bleifarben und schwer. Entenfamilien stachen zum ersten Ausflug ins ruhige Wasser des Floßhafens. Ein fast idyllisches Bild – wären da nicht der Parkplatz am Fuß der Schlossmauer und der kahle Volksfestplatz auf der anderen Mainseite gewesen.

»Ich glaube, ich sollte mich mehr um die verschwundene Angelika Schäfer kümmern«, brach Stiller das Schweigen.

»Und ich glaube, dass du dich da in etwas verrennst«, erwiderte Kleinschnitz. »Das bringt dich nicht weiter.«

Stiller zuckte die Achseln. »Emge hat sich für sie interessiert. Und jetzt ist er tot. Ich werde den Gedanken nicht los, dass er beim Treffen mit ihrer Mutter irgendetwas herausgefunden hat. Aber die Mutter kann es uns nicht mehr erzählen.« Energisch spießte er mit der Plastikgabel ein Stück Wurst auf und zog es durch die rote Soße. »Ich bin gestern Abend noch einmal alle Archivberichte durchgegangen.«

»Und?«

»Nichts. Es will einfach nicht klick machen.«

»Hm.« Kleinschnitz schluckte. »Und was ist mit Pütz? Du hast jede Menge Informationen über ihn. Sprich endlich mit ihm.«

»Ich versuche seit Montag früh, mich mit ihm zu verabreden, aber ich komme nicht an ihn heran. Seine Sekretärin wimmelt mich immer ab.«

»Probier's weiter. Ich wette, es ging um das Kupfer. Illegale Geschäfte. Eine Affäre mit einer anderen Frau – das ist doch heute kein Mordmotiv mehr.«

Stiller schwieg.

Kleinschnitz wechselte das Thema. »Ich hol mir gleich noch eine Wurst. Ich hab richtig Hunger.«

Stiller kaute und sah schweigend den Main hinab. Von der Ebertbrücke her näherte sich ein Frachtschiff, keines der modernen, eher ein älterer Kahn. Er lag hoch im Wasser und machte rasche Fahrt. Leer lag der Frachtraum zwischen dem Containerdeck am Bug und dem Steuerhaus.

Für Stiller hatte die Binnenschifffahrt immer etwas Nostalgisches. Sie erinnerte ihn an seine Jugend. Mit sechzehn hatte er mit einem Freund eine Fahrt ums Mainviereck unternommen. Per Anhalter: Sie hatten sich an die Schleusen gestellt und sich von Frachtschiffern mitnehmen lassen.

Plötzlich stutzte er. »Siehst du, was ich sehe?« Er wedelte mit der Gabel in Richtung Main.

Diesmal zuckte Kleinschnitz die Achseln.



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