Stiller Schmerz (Bonus-Story) by Slaughter Karin

Stiller Schmerz (Bonus-Story) by Slaughter Karin

Autor:Slaughter, Karin [Slaughter, Karin]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-08T22:00:00+00:00


4. Kapitel

Will führte Jenner in Handschellen den Gang entlang zur Herrentoilette. Er hatte empörte Proteste erwartet, aber vielleicht wusste ein Teil von Jenner, dass er es verdient hatte, vorgeführt zu werden wie ein Gefangener. Vielleicht war er sich aber auch so sicher, unbeschadet aus der Sache herauszukommen, dass er diese kleine Unannehmlichkeit gern auf sich nahm.

»Hier«, sagte Will und hielt ihm die Tür auf. Dabei rutschte sein Ärmel nach oben – und wie erwartet, warf Jenner einen Blick auf Wills Armbanduhr. Offensichtlich gefiel ihm, was er sah. Das höhnische Lächeln war wieder da.

Will folgte ihm in den kleinen Raum. Eine Toilette. Ein Waschbecken. Ein Deckenventilator rasselte wie die Lunge eines alten Mannes. Will zog einen Schlüssel aus der Tasche und entriegelte die Handschellen. Jenner massierte sich die Handgelenke, um die Blutzirkulation in seinen Händen wieder in Schwung zu bringen. Dann fragte er Will: »Was wollten Sie eigentlich auf dieser Toilette?«

»Das sage ich Ihnen, sobald Sie uns Rede und Antwort stehen.«

Jenner grinste ihn an und bleckte seine kaputten Zähne. Dann verzog er vor Schmerz das Gesicht. »Sie sollten sich glücklich schätzen, dass ich Sie nicht wegen der Kosten der Zahnbehandlung verklage.« Er wandte sich dem Waschbecken zu, und ohne dabei den Blick von Will abzuwenden, drehte er das heiße Wasser auf. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Implantate Zehntausende kosten werden.«

»Sie haben das Geld.«

»Ach, wirklich?«, fragte er. Er schien die Antwort in Wills Blick zu lesen. »Schätze, Sie sind über die Bordkarte auf meinen Namen gekommen. Ich frage mich, wie. Ich hatte sie nicht mehr bei mir. Vielleicht hat einer der Mitreisenden Ihnen meine Sitznummer genannt?«

Will zuckte lediglich mit den Schultern.

»Die Kreditkarte führt ebenso wenig zu mir. Vielleicht Google?«

Will schwieg weiter.

»Erstaunlich, wie seit dem elften September mit unser aller Privatsphäre umgegangen wird. Es überrascht mich, dass Sie mich nicht postwendend nach Guantanamo schicken.«

»Wir denken darüber nach.«

Jenner kicherte. Er ließ sich warmes Wasser über die Hände laufen, beugte sich vornüber und nahm einen Schluck. Will wartete, während der Mann sich den Mund ausspülte. Schließlich spuckte Jenner einen hellroten Strahl ins Waschbecken. »Ich weiß, dass Eleanor nicht reden wird. Ihr Rechtsbeistand wird Ihre Chefin aussehen lassen wie ein Schoßhündchen.«

Will bezweifelte das, doch er schloss aus Jenners Wortwahl, dass Eleanor Fielding wahrscheinlich eine Frau als Anwältin hatte. Eigentlich hätte Will es besser wissen müssen, aber es überraschte ihn immer wieder, zu welchen Scheußlichkeiten Frauen in der Lage waren. Er wollte gerne glauben, dass es dabei lediglich um Geld ging und nicht um irgendwelche juristische Spitzfindigkeiten. Oder um viel Schlimmeres.

»Sie ist schon eine ziemliche Marke«, sagte Jenner. Er meinte Amanda. »Hält sich für schlauer, als sie ist. Der Fluch eines jeden Polizisten.«

Im Augenblick fühlte Will sich nicht sonderlich schlau. Bisher hatte dieser Typ es geschafft, sie alle vorzuführen. Um ihm ein wenig den Bauch zu pinseln, sagte er: »Sie sind schlau.«

»Ja, bin ich«, entgegnete Jenner. »Manchmal ist das wirklich eine Last – schlauer zu sein als alle anderen.« Er deutete auf die Kloschüssel, die direkt neben dem Waschbecken stand. »Sie erlauben?«

Will drehte dem Mann den Rücken zu, beobachtete ihn aber im Spiegel.



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