Sterntaucher by Astrid Paprotta

Sterntaucher by Astrid Paprotta

Autor:Astrid Paprotta [Paprotta, Astrid]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-12-24T23:00:00+00:00


Du bist doch ein Lahmarsch, sagte Robin, bist doch ein Kasper. Er hatte die Füße auf dem Tisch, war zwölf oder dreizehn und meistens schlecht gelaunt. Blickte er zurück, kam Dorian sich wie in einem Kino vor, dessen Leinwand sich hinter einem Vorhang befand, den man vergessen hatte wegzuziehen. Der Film lief, doch sah er nur Schattenbilder. Dachte er an die versunkenen Jahre, schien es, als sei er schon als alter Mann geboren, weil es doch ein Merkmal alter Leute war, sich besser an die Kindheit zu erinnern als an den gestrigen Tag. Die frühen Jahre mit Katja vergaß er nicht, doch war das Haus der Tillmanns auf ein paar Quadratmeter geschrumpft, in denen er einen Tisch und zwei Betten sah und manchmal Robins kleine Nickelbrille, auf die das Deckenlicht fiel. Sie durften nicht mit Straßenschuhen in die gute Stube, wie Frau Tillmann ihr Wohnzimmer nannte. »Erst Schuhe ausziehen«, rief sie ihnen entgegen, »ihr seid dreckig.« Irgendwann hatte Robin sich angewöhnt, mit seinen schweren Stiefeln durchs Wohnzimmer zu sausen wie ein Tänzer übers Eis. Er machte lange Schritte und sprang in die Luft, sobald sie vor Empörung schrie.

»Das machst du mit Absicht«, rief sie.

»Jo«, sagte Robin. »So isses.«

In ihrem Zimmer zog er die Stiefel auch nicht aus, warf sich damit aufs Bett oder legte die Füße auf den Tisch, wenn Dorian da saß und lernte oder las. Er starrte herüber, bis man seinen Blick wie ein Messer hinter den Augen spürte.

»Bist ein Lahmarsch«, sagte er, »was lieste denn da wieder, raffst es ja doch nicht.« Es war blöd, daß Robin immer besser in der Schule war, obwohl er weniger lernte. Er hatte auch mehr Freunde, doch waren das Typen, die Dorian nicht mochte. Über die Jahre hinweg hatten sie keinen einzigen gemeinsamen Freund gehabt, aber war das bei Brüdern nicht normal? Dorian wußte nicht genau, wie er das Leben bei den Tillmanns beschreiben sollte, hätte man ihn gefragt. Er war da, in ihrem Haus, und manchmal redete er auch mit ihnen, doch waren das gewöhnlich Antworten, die er auf ihre Fragen gab. Es wurde nicht viel geredet in diesem Haus, in dem die Tillmanns meistens schwiegen, und manchmal glaubte er, daß sie keine eigenen Kinder hatten, weil sie noch nie auf die Idee gekommen waren, miteinander zu vögeln. Ja, sie hatten da gewohnt, Robin und er, und ein Leben gelebt, das nichts Besonderes bot außer Fußballspielen oder Kurvenziehen mit dem Rennrad um kichernde Mädchen. Sie aßen zusammen und verbündeten sich gegen die Tillmanns, doch redeten sie nicht mehr viel miteinander, seit Dorian das Konzertvideo ihrer Mutter sah und erkannte, wie stark und überlegen sie war, verglich man sie mit all den Dutzendmenschen auf den Straßen. Robin war blind. Vielleicht interessierte es ihn gar nicht mehr, daß sie zurückkehren und sie wieder mit diesem Lachen in die Arme schließen und daß sie Dori-Süßer rufen würde, hat bißchen länger gedauert, Robbi, mein Zwergelchen, nimm’s mir nicht krumm. Darüber sprachen sie nicht. Robin war mundfaul, das schon. Nur einmal, vor vielen Jahren, fing er an zu schwafeln, als er Namen nannte, Namen und Wörter, die nicht zusammenpaßten.



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