Stehr, Hermann: Der Heiligenhof. 1918 by Hermann Stehr
Autor:Hermann Stehr [Stehr, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Paul List Verlag Leipzig
veröffentlicht: 2011-01-15T23:00:00+00:00
Drittes Kapitel
Wie es die weibliche Wesensart überhaupt ist, daà alle Erlebnisse in ihr eigentlich nur Befürchtungen oder Hoffnungen wecken, so wurde Johanna nicht allein durch das AufstoÃen der alten Fremdbauernfeindschaft zwischen dem Brindeisener und ihrem Mann und dem Handel ihrer Kinder im ersten Augenblick von grellem Schreck überflackert, sondern sie ging auch noch eine geraume Zeit nachher im Dunkel unsicherer Beklemmungen umher.
Denn in jenen Wochen flog durch das Leben und Wesen des Lenleins ein Widerglanz aus der musikalischen Schwarmzeit, die das Mädchen mit dem Harmonika-Gottlieb erfahren hatte. In den angefieberten Nächten, die der Verwundung auf dem Brindeisenerhofe folgten, fuhr sie manchmal im Schlaf in die Höhe, und ohne recht zu erwachen, schaute sie wie suchend umher, um dann ermüdet langsam wieder zurückzusinken und im Traume all die Gassenhauer Gottliebs leise durcheinander zu singen. Einmal bemerkte Johanna sogar, daà ihr Kind dabei die auf dem Deckbett liegenden Arme so stellte, als halte sie tanzend das Kleidchen gerafft und vollführe mit dem ganzen schlafgebundenen Leibe die Bewegungen eines Menschen, der sich dem Wogen rhythmischer Weisen überläÃt. Auch im wachen Zustande jener Zeit verfiel sie wieder öfter wilder und wirrer Widersetzlichkeit, verfing sich in heiÃes Gemütsjächen, war viel unter dem Gesinde und ging manchmal mit so kecken, leidenschaftlichen Schritten einher, daà alle, die es sahen, in Furcht versetzt wurden, es könne sich mit schlimmerem Ausgange der Unfall wiederholen, den das Kind eben überstanden hatte. Wenn auch nicht deutlich, so doch ungefähr, überkam die Bäuerin die Empfindung, das Lenlein sei wie ein Strauch im Dämmern, der plötzlich im Scheine einer fernen Glut feurig aufleuchte.
Und all das wurde ihr nicht leicht zu tragen, weil sie zu niemand davon sprechen konnte. Denn einmal galt es, das Gemüt des Lenleins von jedem Schatten frei zu halten, den es nicht verstehen konnte, zum andern muÃte Johanna bestrebt sein, alle ÃuÃerungen heimlicher Besorgnisse vor den Augen ihres Mannes zu verbergen. Der ging helläugig, gesicherter und klarer denn je umher. Und doch hat der Nachklang des Begräbnisses der Brindeisenertochter lange und tief auch in ihm nachgewirkt, trotzdem er zu keinem davon geredet hat als zu seinen verborgenen Papieren. Die Eintragung darüber ist die längste von allen und unterscheidet sich auch von den anderen Aufzeichnungen durch einen solchen Grad von Dunkelheit, ja, geradezu verworrener Vieldeutigkeit, daà nur eine förmliche Ãbersetzung Klarheit schaffen kann.
Offenbar hat den Heiligenbauer der Drang nach klarer Erkenntnis der Seele des alten Brindeisener und seiner Sippe zu Sätzen getrieben, die auch an das Geheimnis des Wesens aller Menschenbeseelung rühren. Sie lauten in unserer Art zu sprechen:
»Das Wasser der Brunnen ist lebendig und nimmt teil an dem Stauen und Strömen des unterirdischen Meeres, das zwischen Felswurzeln der Berge seine verborgenen Wege nimmt.
Aber das eingesperrte Spieglein wird auch von den Bahnen der Sterne gelockt. Es bebt dem Lichte des Mondes entgegen und zittert in sehnsüchtigem Glücke, wird es von einem verirrten Sonnenwiderschein getroffen.
Aber es gibt genug solch geheime Menschenbrunnenwasser, die nur in tiefen mond- und sternlosen Nächten zu klingen vermögen. Wer helle Ohren hat, der hört in dem Gegluck und
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