Stadt aus Rauch (German Edition) by Svealena Kutschke

Stadt aus Rauch (German Edition) by Svealena Kutschke

Autor:Svealena Kutschke [Kutschke, Svealena]
Die sprache: deu
Format: azw3
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2017-08-24T16:00:00+00:00


Eine Stunde vor seinem Tod saß Johann Petersenn auf einem klapprigen hölzernen Stuhl, der seinen mächtigen Körper nur mit Mühe zu tragen schien, in einem schlecht belüfteten Saal, einen Krug mit warmem Bier in der Hand. Er war siebenundneunzig Jahre alt und kämpfte mit einer ernster werdenden Melancholie, strahlte aber noch immer die unverwüstliche Gewalt eines eisbedeckten Felsens aus. Er saß kerzengerade zwischen seinem Sohn Alfons und einem Lümmel von der NSDAP und schaute missbilligend auf die leere Bühne, wo der erste Redner schon vor drei Minuten hätte beginnen sollen.

Alfons hatte ihn auf eine Versammlung der Deutschnationalen Volkspartei eingeladen. Er wollte seinem Vater zeigen, dass es noch Männer gab, die nicht den Glauben an die Monarchie verloren hatten. Dass es noch Kämpfer gab, die das geknechtete Land wieder aufrichten würden, die sich dagegen wehrten, bis an ihr Lebensende Frondienste für die Siegermächte leisten zu müssen.

Alfons war nach dem Krieg zur kasernierten Sicherheitspolizei gegangen, eine militärische Truppe, die ihre Polizisten ausbildete, als gälte es, gegen die eigene Bevölkerung in den Krieg zu ziehen. Die blau uniformierte alte kaiserliche Schutzpolizei, die eine höchstens fünfwöchige Ausbildung genossen hatte, war dagegen ein Trupp Amateure. Alfons’ grüne Hundertschaften schossen und salutierten und marschierten und verweigerten jeden Gehorsam gegenüber zivilen Beamten. 1926 waren die blaue und die grüne Polizei zur Ordnungspolizei zusammengelegt worden. Auch im Revier gab es genügend Frontoffiziere, mit denen er bei Trinkgelagen das Kaiserreich besingen und über die Farben der Republik (schwarz-rot-senf) lästern konnte. Offiziere, die die Räder ihres Dienstwagens versetzten, um die Schulden im Bordell zu begleichen. Die Arbeit jedoch fand er unzumutbar: »Minchen, mein Täubchen, eine Unmöglichkeit, was dort Dienst tut, Polizisten ohne Ausbildung im Infanteriegefecht, ohne Kenntnisse im Kampf Mann gegen Mann, Minchen, die Stadt steht unter dem Schutz von Beamten, die sich am Papierkrieg gütlich tun, aber auf der Straße ganz untauglich sind.«

Einer diese Papiertiger zerschoss Alfons das Knie, die einzige Zielscheibe, die er in seiner gesamten Laufbahn treffen sollte, wie Alfons später scherzte, als er sein steif gebliebenes Knie verwunden hatte. Über den Tathergang wurde nichts bekannt, was daran lag, dass der Tatort (ein Bordell) verschwiegen wurde, Alfons bezeichnete das Ganze als einen unglücklichen Unfall. Der Beamte hatte ein Handgemenge schlichten wollen, war aber stark betrunken und aufgereizt von Alfons’ abfälligen Reden. Als der Streit zu einer Schlägerei wurde, die sich wie ein Waldbrand im Salon ausbreitete, zog der Polizist also seine Waffe und schoss mehrfach in die Menge, wo er ein mit Seidenstoff bezogenes Sofa traf, eine Flasche Schaumwein, einen Herrenhut und Alfons’ Knie.

Als Alfons aus dem Krankenhaus entlassen wurde, konnte er nur noch am Stock gehen. Er verlegte sich auf eine Karriere bei der Kriminalpolizei und saß nun bei der Nachrichtensammelstelle im Zeughaus, für die er einen Bericht über die heutige Veranstaltung schreiben würde.

Alfons hatte Johann die aufrechten Männer des Stahlhelms präsentieren wollen, nun saßen sie in der letzten Reihe zwischen ein paar Parteimitgliedern der NSDAP, die für Johann nichts als ein Haufen Kommunisten waren. Arbeiter, Sozialisten, Kommunisten, alles die gleichen Flegel. Johann schaute Alfons missbilligend an, und Alfons seufzte und schloss die Augen.



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