Spurensicherung by Péter Nádas

Autor:Péter Nádas
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2007-09-14T16:00:00+00:00

(2000)

Heute

Etwas ist zu Ende gegangen, und etwas anderes will nicht dafür kommen. Irgend etwas, endgültig, unwiderruflich. Und er stand hier am Fenster. Doch wenn er hier steht und etwas zu Ende gegangen ist, dann müßte auch das zu Ende sein. Nicht der Großmutter wegen, sondern ebendeswegen, denn wenn etwas so vergeht, wieso hört dann nicht alles auf, was früher war? »Eine schlechte Angewohnheit. Das ist nur eine schlechte Angewohnheit!« Oder wenn doch nichts vergangen ist und auch nichts Neues kommt, dann ist alles so geblieben, wie es war. Und wenn, auch dann. Warum trotzdem? Warum ist alles so anders geworden? Alles, wie mir vorkommt. Er stand am Fenster.

Diese Spalte in der Diele, in der immer die Soldaten daherkamen. Tag und Nacht sind sie marschiert, aber wenn er am Fenster stand, dann ganz leise, nur ab und zu ein Tappen. Sogar mit Großmutters Stricknadel konnte man nicht bis zum Boden der Ritze dringen. Sie durchstechen. So eine Tiefe. Bestimmt haben sie Großmutters Stricknadel gar nicht bemerkt, sind nur brav in der Ritze dahingetrappelt. Aber wenn er sich wie früher ans Fenster gestellt hat, dann leiser. Im Schrank hing sein neuer Anzug. Er hat sich noch nicht gewaschen, weil er am Morgen nicht zur Schule gegangen war und so das Waschen vor dem ganzen Gehetze ausgefallen ist. Obwohl er sich waschen müßte und rasieren, denn wenn er den neuen Anzug anziehen sollte, muß er sich auf jeden Fall rasieren. Aber er hat heute noch nichts, aber auch gar nichts getan. Obwohl er deshalb zu Hause geblieben ist, sich das Daheimbleiben erbeten hat, um etwas zu tun, daß Zeit dafür wäre, es zu tun. Etwas herauszukriegen,über das er noch nichts weiß. Denn wenn er es herauskriegen könnte, würde das, was zu Ende gegangen ist, noch besser zu Ende sein. Wenn er es aber nicht herauskriegte, dann würde das, was vergangen ist, nicht endgültig, nicht vollständig zu Ende sein. Und er stand nur deshalb hier am Fenster, weil er unfähig war, es herauszukriegen. Wenn er es herauskriegte, würde er nicht schon wieder hier stehen, und dann würde auch dieses Herumstehen zu Ende sein.

Draußen, im Hof, dunkelte es schon. Und es schneite. So ein Schneien, wie man es gern aus dem warmen Zimmer sieht. Obwohl das Zimmer nicht warm war. Er hatte heute nichts, gar nichts getan, und man konnte nicht wissen, wozu das gehörte, denn früher hatte er immer irgend etwas gemacht, es war noch nicht vorgekommen, daß er gar nichts getan hätte, doch er konnte sich nicht erinnern, was das gewesen sein konnte, was er früher gemacht hat, an solchen freien Tagen, wenn zum Beispiel der Unterricht ausfiel, irgendwas hatte er doch sicher früher gemacht, aber es mochte auch so unwesentlich gewesen sein, daß man sich nicht mehr daran erinnern kann, und dann war es auch nur so ein Nichts wie heute, doch trotzdem war dieses Nichts neu, etwas ganz Verschiedenes, völlig anders. Er war heute nicht aus dem Bett gehüpft, nicht in die Küche gerannt, um Mülleimer, Feueranzünder, Holz, Kohlen zu holen,

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