Spektrum by Sergej Lukianenko

Spektrum by Sergej Lukianenko

Autor:Sergej Lukianenko [Lukianenko, Sergej]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
ISBN: 9783453522336
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2011-05-20T15:25:32+00:00


Fünfter Teil

Blau

Prolog

Leben in einem Menschen Gefühle der Nostalgie, machen sich diese – von der Emigration abgesehen – nirgends so bemerkbar wie auf Dienstreisen. Urlaubsreisen lassen einen letztlich nicht jene süße Sehnsucht nach der Heimat verspüren, bestürmen einen dafür doch allzu viele Eindrücke, bestaunt man in zu großer Zahl malerische Ruinen, genießt jungen Wein und warmes Meer nur zu sehr. Eine Geschäftsreise hingegen, noch dazu eine missglückte, lässt ein sublimes Verlangen nach der Heimat aufkommen und wachsen, bringt einen bunten Strauß patriotischer Feldblumen oder russophiler Kamillen zum Erblühen.

Anders als missglückt vermochte Martin seine Reise nach Marge alias Fakiu nicht zu bezeichnen. Alle Fäden hatte er verloren. Wieder einmal hatte er Irina sterben lassen. Nach wie vor verstand er nicht, wovon er eigentlich Zeuge geworden war: von einem göttlichen Wunder oder von den Kapriolen einer fremden Physiologie.

Nunmehr galt es, sich seiner Wurzeln zu besinnen. Eine volle Brust vom Rauch der Heimat zu inhalieren, ein Gläschen Wodka zu leeren und eine Prise von Mutter Erde zu kosten. Und selbstverständlich einige Monate ununterbrochen in Moskau zu bleiben.

Oder sich in wärmere, wiewohl nicht allzu ferne Gefilde zu begeben. Jalta wäre trefflich, Odessa oder Sewastopol. Aus irgendeinem Grund hatte Martin Jalta klar vor Augen, die zum Meer hinunter führenden schmalen Gassen, die kleine Kneipe an der unteren Station der Seilbahn, in der sich so angenehm Portwein aus der Kellerei Magaratsch trinken ließ, ehe man zu einem Spaziergang am Ufer des kühlen, einen abgehärteten Schwimmer jedoch noch immer lockenden Meeres aufbrach … Bei dem Gedanken lächelte Martin sogar, zwar schief, aber dennoch erleichtert. Er würde sich Irina aus dem Kopf schlagen. Eine unbeschwerte Urlaubsaffäre würde er anfangen, mit einer kleinen Dame, die unbedingt verheiratet sein musste, folglich nur auf ihr Vergnügen, nicht aber auf dauerhafte Beziehungen erpicht war. Viel starken Wein würde er trinken. Seine alte Bruyerepfeife schmauchen, eine teure, jedoch erstklassige Stanwell mit einem Silberring am Holm. Bei den Kaukasiern würde er sich ein nur in heißem Zustand essbares Schaschlik kaufen. Unbedingt würde er nachts nackt baden. Von seinem Balkon aus würde er die nimmersatten Möwen mit trockenem Fladenbrot füttern. Den pittoresken Armen des Orts würde er etwas Kleingeld zukommen lassen, den Kindern Eis kaufen. Abends würde er ein wenig fernsehen, vielleicht sogar ins Kino oder zum Konzert eines verwelkten Popstars gehen.

Nach ein paar Wochen käme er ausgeglichen und entspannt nach Moskau, hätte sich fremde Welten, fremde Probleme und fremde Ängste aus dem Kopf geschlagen.

Über all das sann Martin nach, während er in der Schlange vor der Passkontrolle stand, die sich bereits außerhalb der Moskauer Station befand. Andrang herrschte, die meisten Wartenden waren Menschen, aber auch ein paar merkwürdige Außerirdische begegneten ihm. Entgegen seiner Gewohnheit beobachtete Martin Letztere nicht, um etwas Nützliches über die außerirdische Psychologie zu erfahren, sondern träumte von Jalta, von den flüchtigen Freuden des Altweibersommers – oder zählte der Oktober da schon nicht mehr zu? Egal! Hauptsache, er kam nach Jalta! Der ukrainische Wodka Nemiroff, Nikolajewer Bier, seine geliebte Pfeife, stets eine heiße Frau parat, hin und wieder eine Abkühlung im erfrischenden Meer.

Die Passkontrolle zog sich heute unerträglich lange hin.



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