Sophia oder Der Anfang aller Geschichten by Rafik Schami

Sophia oder Der Anfang aller Geschichten by Rafik Schami

Autor:Rafik Schami
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2015-08-26T16:00:00+00:00


Vorsätzliche Provokation

oder

Eine gefährliche Wette

Damaskus, in derselben Nacht, Dezember 2010

Warum gibt es keinen guten arabischen Krimi?

Beim zehnten Glockenschlag der Turmuhr betrat Salman das große Salonzimmer. »Komische Freunde hast du, lieber Cousin, die eine Hälfte ist vorbestraft und die andere schwul«, rief Elias und lachte höhnisch. Nur seine Frau fiel in sein Lachen ein. Salman überhörte die dumme Bemerkung. Später sollte er immer wieder betonen, sein Cousin Elias sei an dem Abend mit der Absicht gekommen, ihn zu provozieren, und zwar offensiv und auf unverschämte Art und Weise. Und als ihm dies nicht gelungen sei, habe er eine Wette angeboten, deren Inhalt und Zweck längst geplant war.

Er war schon den ganzen Abend über abweisend gewesen, und Salman hatte seine dämlichen Sticheleien ein ums andere Mal überhört. Sogar Salmans Vater bremste ihn mehrmals mit den Worten: »Wir wollen uns nun gemeinsam freuen, dass Salman gesund zurückgekommen ist.« Später verstand Salman seinen Vater besser und schätzte dessen empfindsame Antenne für die verdeckte Provokation und deren Gefahr. Sein Bemühen um Harmonie war nicht unbeholfen, wie es den Anschein haben mochte, sondern eine freundliche und kluge Geste gegenüber dem arroganten Elias, die ihm einerseits zeigen sollte, dass seine Provokation durchschaut wurde, und andererseits dazu diente, ihn zu bestechen und seine Eitelkeit zu befriedigen. Dies alles in der Hoffnung, dass er Abstand von den Plänen nahm, die er möglicherweise gegen Salman geschmiedet hatte. Salman fühlte sich an die Philosophie der Sufis erinnert, die mit ihrer Friedfertigkeit Aggressionen im Keime ersticken. »Ihr seid Cousins«, appellierte Salmans Vater an die letzten Reste von Solidarität mit seiner Sippe in Elias’ verdorbener Seele. »Und was ist ein Cousin, wenn er nicht wie ein Bruder ist!« Aber Elias war taub für moralische Appelle.

Erst später begriff Salman, dass sein Vater nicht bis kurz vor Mitternacht dageblieben war, um seinem Neffen die Ehre zu erweisen, sondern weil er Streit fürchtete. Der alte Mann kämpfte rührend gegen seine Müdigkeit, die die schmerzstillenden Medikamente verursachten. Schließlich aber übermannte sie ihn, und er schlief im Rollstuhl ein. Sophia schob ihn langsam ins Schlafzimmer.

Kaum hatten sie das große Salonzimmer verlassen, legte Elias los. Er wolle niemanden beleidigen, begann er, aber man dürfe das Vaterland nicht im Stich lassen. »Nehmen wir an, ein Mann wird ausgebildet, er studiert oder lernt einen Beruf hier, und dann geht er als Arzt oder Lebensmittelhändler nach Deutschland oder Italien und bietet dort seine Arbeit und sein Wissen an, für das weder die Deutschen noch die Italiener eine einzige Lira ausgegeben haben. Er begeht eine doppelte Sünde gegenüber dem Vaterland. Er lässt es im Stich im Kampf gegen Israel und er vergeudet das Vermögen der Heimat und verschenkt es an die ehemaligen Kolonialherren. Versteht ihr?«

Einige nickten, andere verstanden seine Andeutung, fanden aber seinen Einwurf unpassend. Um ein Haar hätte Salman ihm erwidert, dass die größte Vergeudung der Reichtümer Syriens nachweislich die Sippe des Diktators verschulde. Allein die Milliarden, die sie im Ausland versteckt hatte, und die fünfzehn Geheimdienste hatten das Land ausgeblutet, aber er biss sich auf die Zunge. Seine Mutter strich ihm unauffällig über den Rücken.



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