Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) by Donohue Keith

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) by Donohue Keith

Autor:Donohue, Keith [Donohue, Keith]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-10-24T04:00:00+00:00


Kapitel neun

Lücke mit Tücke

Marie zog sich rasch an, steckte den violetten Umhang an der Schulter zusammen und verbarg dann ihr Ge-sicht, den Kopf gesenkt und die Schultern bebend, als weinte sie über ihre Erinnerungen. Der Homunkulus, der in meinem Bauch lebte, drängte murrend und fluchend heraus. Ich lockerte den Gürtel meines Bademantels, verspürte jedoch noch immer keine Erleichterung für meinen grummelnden Magen. Meine Füße und Hände, in denen sich Wasser zu stauen schien, taten mir weh, und als ich mit den Fingern mein Gesicht berührte, fühlte sich die Haut meiner Wangen straff und zart an. Je mehr Marie weinte, desto dicker wurde ich, und als ich in den Spiegel sah, schaute mich ein Fettsack an. Mein Gewicht hatte sich verdoppelt, und meine Gesichtszüge wirkten durch den wasserballgroßen Kopf ganz klein. Mein Bauch sprengte fast den Bademantel, die Nähte sich zum Zerreißen spannten. Meine Finger und Zehen fühlten sich an wie pralle Würste, und meine Beine waren so stämmig wie Totempfähle. »Endlich werde ich schön rundlich«, sagte ich scherzend zu dem alten Mann, doch meine Stimme klang piepsig, als hätte ich Helium eingeatmet.

»Du bist ein Zeppelin«, entgegnete er. »Rundherum zu kugelig, um dich im Zaum zu halten.«

»Ich habe das Gefühl, als würde ich gleich platzen.«

Mit einer einzigen raschen Bewegung machte er einen Schritt von mir weg, fasste Marie an der Schulter und drehte sie zu uns um. Ein riesiger gelber Ballon mit einer Karikatur meines Gesichts hing an ihren Lippen, und ihre Backen waren aufgeblasen, um den nächsten vielleicht tödlichen Atemstrom hineinzustoßen.

»Untersteh dich«, ermahnte er sie. Sie sog die Luft ein und zwickte den Ballonhals mit den Fingern zusammen. Mein Kopf schmerzte vor Druck, und aus Angst, sie könnte einen scharfen Fingernagel oder eine spitze Nadel hineinstoßen und mich mit lässiger Geste zum Platzen bringen, konnte ich es kaum ertragen, hinzusehen. Doch stattdessen ließ sie die Luft mit einem einzigen langen Heuler entweichen, sodass das Latex obszön aufjaulte, und gleichzeitig entwich die Luft auf höchst beschämende Weise aus jeder meiner Öffnungen. Doch letztlich war ich erleichtert, wieder zu meiner alten Form zurückgefunden zu haben. Mit fordernd ausgestreckter Hand bat der alte Mann, sie möge ihm den Ballon aushändigen. Sie stritten kurz in wütendem Französisch, wobei die Worte so rasch an mir vorbeizischten, dass ich nicht ein einziges ausmachen konnte. Nachdem Marie sich nur zögernd geschlagen gegeben hatte, hielt der alte Mann den Ballon hoch, sodass ich ihn genau betrachten konnte. Zusätzlich zu dem karikierten Gesicht waren zwei Stummelärmchen und -beinchen daran. Er knüllte den Ballon zusammen und stopfte ihn in seine Brusttasche. Verärgert gesellte sich Marie zu den drei anderen Frauen, die auf dem Rand der Badewanne hockten wie Zuschauer, die man auf die billigen Tribünenplätze verwiesen hat.

»Auf ein Wort, monsieur, s’il vous plaît?« Ich führte ihn zur Türschwelle in vermeintliche Privatheit. »Lass dir zuerst einmal danken, dass du mir ein weiteres Mal das Leben gerettet hast. Ohne dich wäre ich womöglich erschlagen, aufgespießt, in Stücke gerissen oder wer weiß was worden.«

Er klopfte mir zweimal auf den Oberarm. »Ich möchte nicht, dass dir irgendetwas zustößt …«

»Das ist sehr anständig von dir.



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