Sommer des Lebens by Coetzee J.M

Sommer des Lebens by Coetzee J.M

Autor:Coetzee, J.M. [Coetzee, J.M.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


SIE FÄNGT JOHN am nächsten Morgen ab, als er gerade zu einem seiner Spaziergänge aufbricht. »Lass mich mitkommen«, sagt sie. »Ich will nur noch geeignete Schuhe anziehen, es dauert nur eine Minute.«

Sie gehen auf dem Weg, der von der Farm nach Osten führt, am Ufer des zugewachsenen Flussbettes entlang zum Reservoir, dessen Wand bei den Überflutungen von 1943 geborsten und seither nie repariert worden ist. Im flachen Wasser des Reservoirs schwimmt friedlich ein Trio weißer Gänse. Es ist noch kühl und nicht dunstig, sie haben einen Blick bis zu den Nieu- weveld-Bergen.

»God«, sagt sie,»dis darem mooi. Dit raakjou siel aan, nè, dié ou wêreld.« Ist das nicht schön. Sie ergreift deine Seele, diese Landschaft.

Sie beide gehören zu einer Minderheit, einer winzigen Minderheit von Seelen, die von diesen gewaltigen, einsamen Weiten bewegt werden. Wenn sie etwas über die Jahre hin verbunden hat, dann das. Diese Landschaft, diese kontrei - sie hat ihr Herz erobert. Wenn sie stirbt und begraben wird, wird sie so natürlich in diese Erde übergehen, als hätte sie nie ein menschliches Leben gehabt.

»Carol sagt, dass du noch immer Gedichte schreibst«, sagt sie. »Stimmt das? Zeigst du sie mir einmal?«

»Tut mir leid, dass ich Carol enttäuschen muss«, antwortet er steif, »aber ich habe seit meiner Teenagerzeit kein Gedicht mehr geschrieben.«

Sie beißt sich auf die Zunge. Sie hat vergessen: Man bittet einen Mann nicht darum, dir seine Gedichte zu zeigen, nicht in Südafrika, nicht ohne ihn vorher zu beruhigen, dass es in Ordnung ist, dass man ihn nicht verspotten wird. Was für ein Land, wo Dichten keine männliche Betätigung ist, sondern das Betätigungsfeld von Kindern und oujongnooiens [alten Jungfern] - oujongnooiens beiderlei Geschlechts! Wie Totius oder Louis Leipoldt zurechtgekommen sind, kann sie sich nicht vorstellen. Kein Wunder, dass Carol sich Johns Verseschmieden zum Angriffspunkt gewählt hat, Carol mit ihrer Nase für die Schwächen anderer Leute.

»Wenn du das schon vor so langer Zeit aufgegeben hast, warum glaubt dann Carol, dass du noch Gedichte schreibst?«

»Keine Ahnung. Vielleicht hat sie mich beim Korrigieren von Schüleraufsätzen gesehen und hat die falschen Schlüsse gezogen.«

Sie glaubt ihm nicht, doch sie wird ihn nicht weiter bedrängen. Wenn er ihr ausweichen will, lass ihn doch. Wenn Dichten zu seinem Leben gehört und er nicht darüber reden will, weil er zu schüchtern ist oder sich schämt, dann soll es so sein.

Sie hält John nicht für einen moffie, doch es verwundert sie weiterhin, dass er keine Frau hat. Ein Mann allein, besonders einer von den Coetzee-Männern, scheint ihr wie ein Boot ohne Ruder oder Steuer oder Segel. Und nun leben zwei von ihnen, zwei Coetzee-Männer, als Paar zusammen! Als Jack noch die respekteinflößende Vera hinter sich hatte, steuerte er einen mehr oder weniger geraden Kurs; aber jetzt da sie nicht mehr da ist, wirkt er ganz verloren. Und was Jacks und Veras Sohn angeht, so könnte er etwas vernünftige Lenkung durchaus gebrauchen. Aber welche Frau mit Verstand würde sich dem Pechvogel John widmen wollen?

Carol ist überzeugt, dass John nichts taugt; und der Rest der Coetzee-Familie würde, trotz ihrer Gutherzigkeit, wahrscheinlich zustimmen.



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