Solidarisch gegen Klassismus by Francis Seeck & Brigitte Theißl
Autor:Francis Seeck & Brigitte Theißl [Seeck, Francis & Theißl, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Classism
ISBN: 9783954050758
Herausgeber: Unrast
veröffentlicht: 2021-01-02T01:00:00+00:00
Fehl am Platz?
Im Hinblick auf Debatten um Faulheit scheinen auch das Schamgefühl oder das Gefühl, fehl am Platz zu sein, erklärbar. Ich frage mich, warum ich mich in manchen Räumen, etwa an der Universität, im Jobcenter und manchmal auch in politischen Räumen unwohl oder eben fehl am Platz fühle. In welchem Zusammenhang steht die Erfahrung, sich fehl am Platz zu fühlen, mit klassistischer Diskriminierung?
Ich möchte einige persönliche Erfahrungen beschreiben, die ich in bestimmten Räumen mit Klassismus gemacht habe. Auch diese Erfahrungen habe ich den GroÃteil meines Lebens als individuelle Schwierigkeiten betrachtet. Heute ordne ich sie als Erfahrungen klassistischer Diskriminierung ein.
Im Laufe meines Lebens habe ich mich häufig fehl am Platz gefühlt. Zudem wurde mir der Zugang zu bestimmten Räumen erschwert. Meine Schulzeit war von Schulwechseln geprägt, da ich jeweils durch einzelne Lehrer*innen zu spüren bekam, dass ich dort ihrer Auffassung nach nicht hingehörte. Wenn ich mich heute daran erinnere, ist mir klar: Ich wurde damals klassistisch stereotypisiert, mit Zuschreibungen von âºFaulheitâ¹ und âºDummheitâ¹ â und auf dieser Grundlage diskriminiert. Noch kurz vor den Abiturprüfungen sagte ein Lehrer zu mir, dass ich meinen »Weg im Leben auch ohne Abitur gehen« werde. Seinen plötzlichen Notensprung, der ein âºnicht ausreichendâ¹ für die Abiturzulassung bedeutete, flankierte er so mit scheinbar objektiven Gründen; damit wollte er wohl begründen, warum er mir den Zugang zur Universität verwehrte. Ich hatte damals keine Idee, wie ich mich dagegen wehren könnte â und hatte das Glück, dass mir ein anderer Lehrer half. Ich konnte damals nur auf einer individuellen und nicht auf einer strukturellen Ebene gegen Klassismus vorgehen.
Nach dem Abitur war ich beim Jobcenter. Die für mich zuständige Mitarbeiterin sagte mir, dass die Universität für mich nicht infrage komme. Ich ging trotzdem zur Uni. Die gewählten Kurse besuchte ich gerne, die Universität war allerdings kein Ort für mich, an dem ich mich wohlfühlte. Das lag nicht an persönlichen Diskriminierungen durch Dozent*innen, sondern an strukturellen Ausschlussmechanismen, die mir den Zugang zum Studium erschwerten. Damit meine ich für manche Banales: dass Texte auf dem PC geschrieben werden und nicht auf Papier; wie Kurse gewählt werden; dass der Kontakt zwischen Dozent*innen und Studierenden distanziert und anonym ist; dass das Wissen darüber, dass Stipendien existieren und wie sie funktionieren, gewissermaÃen geheim ist. Ich habe das erste Studium abgebrochen. An der zweiten Universität setzte sich das Gefühl, fehl am Platz zu sein, fort. In erster Linie waren es auch hier strukturelle Ausschlussmechanismen, aber auch Sprache und Normen in Seminarräumen führten dazu, dass ich mich fehl am Platz fühlte.
Nach dem Studium war ich erneut beim Jobcenter. Mir wurde mitgeteilt, dass es »der gröÃte Fehler« meines Lebens gewesen sei, zu studieren. Die zuständige Sachbearbeiterin setzte sich dafür ein, dass ich diesen Fehler nicht noch einmal beginge (mit einem Masterstudium); stattdessen solle ich eine Ausbildung machen, »bevor es zu spät ist«. Sie begründete ihre Vorstellung von meiner Zukunft mit »Naivität und Dummheit« meinerseits.
Trotz aller Diskriminierungen fühlte ich mich beim Jobcenter weniger fehl am Platz als an der Uni. Durch meine Klassenzugehörigkeit fühlte mich hier weniger auffällig und als eine von vielen.
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