So unselig schön by Löhnig Inge

So unselig schön by Löhnig Inge

Autor:Löhnig, Inge
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2011-08-02T16:00:00+00:00


MONTAG, 14. JUNI

Das Morgenmeeting war vorüber, das Team hatte das Besprechungszimmer bereits verlassen. Dühnfort stand am Fenster und sah hinaus. Seit Freitagabend fiel der Regen stetig und fein.

Lichtenbergs Alibi stand auf wackligen Beinen. Zum Zeitpunkt von Janas Verschwinden hatte er sich im Hofbräuhaus mit einem Reporter getroffen und gab an, erst nach zweiundzwanzig Uhr gegangen zu sein. Der Reporter konnte diese Angaben zurzeit jedoch nicht bestätigen. Am Samstag war er beim Drachenfliegen verunglückt und lag nach einer schweren Operation im künstlichen Koma.

Merde, dachte Dühnfort. Nichts war fassbar. Buchholz arbeitete an einer Vergleichsanalyse der Ölfarbe an Nadines Handgelenk und der, die Lichtenberg verwendete. Schack war auf dem Weg ins Präsidium, und Dühnfort hoffte, dass er sich seiner Sache nicht mehr so sicher war wie am vergangenen Mittwoch. Es musste endlich etwas vorangehen in dieser festgefahrenen Ermittlung.

Die Schultern waren verspannt, wieder einmal war die Nacht zu kurz gewesen, und die Müdigkeit saß ihm in den Knochen. Er war nicht mehr dreißig, langsam begannen sich durchgearbeitete Nächte und Wochenenden bemerkbar zu machen. Für einen Moment sah er sein Leben zwischen diesen Mauern verrinnen, wie die Tropfen, die die Scheibe hinab über das Fensterbrett liefen und verschwanden. Dieser Gedanke erschreckte ihn. Er wandte sich vom Fenster ab. Dabei erinnerte er sich an Agnes’ Anruf vom Freitag und sein Versprechen, sich bei ihr zu melden. Hätte er sie angerufen, wenn er Zeit gehabt hätte? Vermutlich nicht. Er wusste jedoch nicht, weshalb, und hatte weder die Muße noch das Bedürfnis, darüber nachzugrübeln.

Knapp zwanzig Stunden waren vergangen, seit Daniela Heppner ihre Freundin vermisst gemeldet hatte, und bisher waren sie keinen Schritt weitergekommen. Weder die Verkehrsüberwachungsbänder noch die Handyortung hatten zu einem Ergebnis geführt. Halter und Vermieter von schwarzen Puntos wurden noch überprüft. Es gab einfach zu viele.

Die Tiefgarage des Ärztehauses hatte keine Videoüberwachung, daher hingen bereits in allen Praxen Plakate mit einem Zeugenaufruf. Möglicherweise hatte jemand eine Beobachtung gemacht, die im Zusammenhang mit dem Diebstahl der Nummernschilder stand.

Dühnfort sah einem Tropfen nach, der in der Regenrinne verschwand, streckte sich und verließ den Besprechungsraum. Was sie jetzt benötigten, war ein Durchsuchungsbeschluss für Lichtenbergs Anwesen. Je eher, desto besser. Doch dafür musste er das Ergebnis der Farbanalyse abwarten.

Auf dem Flur kam ihm Boos entgegen, der eigentlich am Morgenmeeting hatte teilnehmen wollen, aber in einem Stau steckengeblieben war. Folge eines umgestürzten Schweinetransporters auf der Autobahn. Er grüßte Dühnfort und folgte ihm ins Büro. Dem Wetter entsprechend trug er einen hellgrauen Baumwollrolli zur Edeljeans und ausnahmsweise keine Hosenträger. »Wie kommt ihr voran?«

»Zäh.« Sie setzten sich. Dühnfort brachte Boos auf den aktuellen Stand.

»Lichtenberg ist eine interessante Persönlichkeit«, meinte Boos. »Jemand, der sich neu erfindet, weil er den Menschen, der er ist, nicht ertragen kann. Wie sagte Sartre? Es ist eine maßlose Freiheit, zu töten, um sich selbst zu gebären.« Boos wollte die Daumen gewohnheitsgemäß in die Hosenträger haken, griff aber ins Leere und ließ die Arme sinken. »Er scheint ins Profil zu passen. Was mich allerdings stutzig macht, ist seine Erscheinung. Lichtenberg wirkt nicht unbedingt vertrauenerweckend. Wäre Nadine tatsächlich nach einem kurzen Gespräch zu ihm ins Auto gestiegen? Eher nicht.



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